Berlinale Shorts: Without art we are just existing.

Film 

Berlinale Shorts: Without art we are just existing.

Die BERLINALE startet am 15.2.2016. Wir durften vorab die Filme der BERLINALE SHORTS sehen und sind fasziniert. Interview mit Kuratorin Maike Mia Höhne zum Meta-Thema „Ankommen“ sowie die Entwicklung der Kategorie.

Berlinale Shorts: Interview mit Kuratorin Maike Mia Höhne

Wir waren zum Presse Screening der Berlinale Shorts eingeladen und wollten das Kino am liebsten gar nicht mehr verlassen. Die Kategorie Kurzfilm feiert in diesem Jahr ihr 10-jähriges Jubiläum, das Meta-Thema ist „Ankommen“ – ein Gefühl, eine Sehnsucht, eine Utopie? Wir haben uns mit der klugen Kuratorin Maike Mia Höhne unterhalten. Seit 2007 kuratiert sie das Programm der Berlinale Shorts und hat deren Erfolg maßgeblich mit geprägt. Die Wucht der Vielfalt der gezeigten Arbeiten können wir Euch nur ans Herz legen. Selten haben wir uns nach dem Kino lebendiger, wacher gefühlt. Erinnert Ihr Euch an Avatar? Wo alles miteinander verbunden ist? Ja genauso.

ANOTHER CITY Pham Ngoc Lan

Liebe Frau Höhne, ich persönlich habe zum ersten Mal so extrem die starke Wirkung erlebt, die sich durch Ihre kuratierten Kurzfilm-Blöcke entfaltet. Ich kam aus dem Kino und fühlte mich verbunden mit allen Völkern, Kulturen und Sprachen der Erde, so kitschig das klingen mag und dachte, wie sehr diese Art der Wahrnehmung und Teilen von Sichtweisen, Ideen und Anliegen zur Völkerverständigung beitragen könnte. Wie beurteilen sie das Medium Kurzfilm und seine Auswirkung?

Ja, so! Genauso – wie schön! Das freut mich sehr, dass die Vielfalt durchgedrungen ist, angekommen ist. Dass das echte Moment, das Barthes beschreibt, gezündet hat. Die Kraft der kurzen Form ist genau das: der Vielfalt Raum zu geben, der Geschwindigkeit Platz zu machen, Seismograph zu sein für Zeitgeist und Politik. Spiegel der Verhältnisse in jeder Form. Ich reise viel mit den kurzen Filmen, präsentiere die Programme weltweit.Ein Programm gibt die Möglichkeit, Gedanken zu vertiefen, Stimmungen zu verstärken, Farben zu malen- Ein Programm ist der Anfang eines Gesprächs!

Und wann haben Sie für sich das erste Mal festgestellt, dass Sie in diese Richtung gehen wollen, gab es eine Art Schlüsselerlebnis?

Ich mache selber Filme und habe meine Filme immer als Objekte verstanden, nie als über die Länge differenzierte Körper – also lange oder kurze, sondern eben als Filme.

Ein Film ist ein Film ist ein Film.

Die Wirkung, die eine Arbeit erzielen kann hängt mit dem Grad ab, in dem sie echt ist: wahr, ehrlich. Und dann fand ich es eben schon immer wichtig, gleichberechtigt zu sein, zu leben, zu denken. Vielleicht ist das ein Grund, warum ich so sehr an der Form hänge. Sie ist gleichberechtigt. Darüber hinaus gefällt mir einfach wirklich sehr die große Formvielfalt und Geschwindigkeit. Ich bin schon immer lieber 100 Meter gerannt als 5 Kilometer. Die kurze Form bietet Möglichkeiten darüber nachzudenken, gerade wenn es in Richtung Videokunst geht. Schnittmengen, die größer sind und vieles einfassen, was vielleicht vor 25 Jahren noch rausfiel.

Das Thema Ankommen ist durch die politische Lage und die Digitalisierung konkreter denn je.  Haben diese Punkte dabei eine Rolle gespielt und wie können wir uns den Findungsprozess hierzu grundsätzlich vorstellen?

Sie meinen, wie mein Team und ich die Filme gefunden haben? Nun, zuerst einmal sind wir darauf angewiesen, welche Filme eingereicht werden. Die werden alle gesichtet. Aber natürlich ist das nur ein Teil der Arbeit. Der andere Part ist, aktiv zu forschen: Filmemacher, Künstler anzufragen nach aktuellen Arbeiten.

Und ja, das Ankommen ist etwas, dem sich niemand entziehen kann.

Nicht erst seit gestern Thema im Politischen, im Privaten immer und immer wieder Thema. Es bleibt die Frage nach der Umsetzung. Die digitalen Medien werden immer wieder selber zum Thema gemacht. Wenn in TSOMET HARUHOT ein junges Paar auf den Sinai fährt, um Urlaub zu machen, dann stutze ich schon gleich das erste Mal.

Tsomet Haruhot - Regie- Rotem Murat, auf dem Bild- Bat-Elle Mashian, Zohar Mazor

Die Konsequenz mit der sich die Regie entscheidet, diese Reise nur mit der Handykamera zu filmen – das Paar sich gegenseitig. Es ist zuweilen unerträglich, genau wie eben die permanente digitale Präsenz von jedem Pups des Einzelnen unerträglich ist. Die Frage, warum das Paar nicht einfach umdreht, diese irrwitzige Idee aufgibt, auf dem Sinai, dem totalen Nichtort, Ferien zu machen – dann frage ich mich, wer eigentlich dieses Auto steuert? Wer fährt eigentlich in den Abgrund und auf den Sinai? Ist das vielleicht auch eine Sichtweise auf die Politik Israels? Eine kritische Stimme in einer nicht einfachen Ausgangssituation?

Die Filme bieten sehr unterschiedliche Lesarten an. Es wird auf jeden Fall spannende Gespräche geben. Ich könnte jetzt jeden Film beschreiben. Wichtig ist, daß das ANKOMMEN ein roter Faden ist, der sich durch das Programm zieht und somit immer verbunden ist mit der Wirklichkeit, in der wir leben.

A Man Returned - copyright/Regie: Mahdi Fleifel

Mich persönlich hat u.a. der Kurzfilm A MAN RETURNED besonders berührt und mitgerissen. Welche der Einreichungen haben bei Ihnen einen besonderen Eindruck hinterlassen oder stechen für sie hervor?

Es ist immer schwierig, ein zwei Filme hervorzuheben, weil alle Filme besonders sind. Alle Arbeiten sind sehr eigen. Aber ich stimme zu: A MAN RETURNED ist sehr beeindruckend.

Diese unglaubliche Präsenz von Reda, seine Liebe zu seiner Frau, seine Unruhe, der Ort, die Drogen.

Direkter ist es schwierig an einem Leben teilzuhaben und gleichzeitig ist es ein Leben von dem uns eigentlich gar nichts klar ist. Und bumm! Sind wir mittendrin. Wahnsinn spannend und berührend. Es ist die kleine digitale Kamera, cinema directe in digital, die den Film so überhaupt erst möglich macht.

NOTRE HERITAGE beeindruckt mich ähnlich stark. Notre Héritage – Regie: Jonathan Vinel in Kooperation mit Caroline
Was für eine Wucht dieser Film. Wie klar hebelt das junge Regieduo die Geschichte aus ihren Angeln. Ähnlich einem Tarantino, der sich nicht schert um historische Wahrheiten, sondern die Geschichte so anfaßt, daß sie für ihn Sinn macht und so über ihn hinaus neue Blicke auf die Geschichte, Chancen, Situaitonen ermöglicht. Das tun die beiden auch. 2014 haben sie den Goldenen Bären gewonnen – mal schauen, wie es dieses Jahr für sie ausgeht.

Und dann gibt es ganz vermeintlich kleine Filme, wie RELUCTANTLY QUEER oder JIN ZHI XIA MAO.

Reluctantly Queer - window_Kwame Otu
Jin Zhi Xia Mao - Regie: Wei Liang Chiang

Es ist so leicht einen emotionalen Zugang zu den Protagonisten zu finden und damit einen Zugang zu dem Größeren: der Sehnsucht anzukommen, aufgehoben zu sein.

DIE UNZUGÄNGLICHKEIT DER GRIECHISCHEN ANTIKE UND IHRE FOLGEN ermöglicht durch seine Stille, durch sein Abbilden von Tätigkeiten, dem Schieben von Sportgeräten, überhaupt dem Dasein in der Schule, eine Reflexion über eine doppelt vergangene Zeit und ihre Auswirkungen ins Heute.

Die Unzulänglichkeit der Griechischen Antike und ihre FolgenDIE UNZUGÄNGLICHKEIT DER GRIECHISCHEN ANTIKE UND IHRE FOLGEN

Darüber assoziiert jeder etwas Anderes, ist zugleich verbunden mit seinen Ängsten, es nicht über den Bock zu schaffen, damals vor der ganzen Klasse und mit dem Lehrer im Rücken oder auch der immer präsenten Möglichkeit nicht ausgewählt zu werden, beim Ping Pong für die Gruppen. Dann deklariert sie den Text – und auch ohne ihn zu verstehen ist klar: hier manifestiert sich gerade ein Körper im Raum. Bildhauerei. Überschreitung, Verschiebung.

Die Berlinale Shorts feiern in diesem Jahr 10-jähriges Jubiläum. Sie selbst sind lange Jahre, seit 2007, die Kuratorin. Wie hat sich das Format in den Jahren verändert? Gibt es bestimmte Punkte und / oder Begebenheiten, Momente die sie hervorheben würden?

In den letzten zehn Jahren hat sich meine Handschrift verfeinert. Die unabhängige, mutige, extreme künstlerische Haltung und filmische Position hat mich schon immer interessiert.

Es war wichtig, und das hat ein paar Jahre gedauert, für die Szene klarzumachen, daß in Berlin jetzt andere Kurzfilme gezeigt werden, als vor Gründung der Sektion, als die kurzen Filme in der Sektion Wettbewerb und Panorama gezeigt wurden.

Als ich anfing gab es sofort eine sichtbare Zäsur und die wurde auch so wahrgenommen.

Anna Henckel-Donnersmarck brachte einen Film mit in die Sichtung, den wir dann auch zeigten: RGB XYZ von David Oreilly- und damit war ein Ton gesetzt. Im Jahr darauf kam David dann mit PLEASE SAY SOMETHING zurück und gewann den Goldenen Bären.

Und dann haben einfach viele ihre Filme bei den Shorts gehabt, die für die Entwicklung der Ästhetik und der Narration im Film in den letzten Jahren entscheidend waren – etwa Künstler wie Ruben Östlund und Mahdi Fleifel. Die jungen Franzosen Poggi/Vinel, Park Chan Wook und Park Chan Kyong, Gabriel Abrantes. Müller/ Girardet hatten die Premieren ihrer letzten Arbeiten in Berlin, weil die Strahlkraft des Festivals größer ist, als viele andere Kurzfimfestivals in anderen Städten. Wenn heute ein Ben Russell direkt an mich schreibt, und sagt: „Hey, ich habe einen neuen Film und den will ich unbedingt bei euch zeigen“, dann hat das sicherlich damit was zu tun, dass ein Film wie LABORAT 2014 den Silbernen Bären gewonnen hat. Ein experimenteller Film mit Aussicht auf einen der wichtigsten Preise im Filmgeschäft! Ein Novum. Das heißt: es braucht immer etwas Zeit, bis sich etwas setzen und abbilden kann. Das ist nun schon seit einiger Zeit passiert und das macht Spaß.

Bezüglich des Formats: Die ersten Jahre war es noch so, dass nur einige der Filme im Wettbewerb liefen und die anderen außerhalb des Wettbewerbs. Das hatte mit der Geschichte der Sektion zu tun: vorher gab es kurze Filme im Wettbewerb und in der Sektion Panorama. Nach drei Jahren war klar: alle Filme konkurrieren um den Goldenen Bären. Das war gut so! Anders als bei den anderen großen Festivals wie Cannes und Venedig zeigen wir hier Filme bis 30‘ und der Spielfilm nimmt nur einen Teil der Auswahl ein. Alle Formen sind gleichberechtigt.

2010 zur 60. Berlinale habe ich anläßlich des Geburtstages des Festivals zwei Programme mit Filmen nur von Frauen aus den 1980iger Jahren gezeigt. Das war toll, weil es einfach mal ein Schritt aus der 1968er Grube in die Moderne war, wenn Frau so will. Einfach mal andere Filme, als immer wieder die gleichen fünf.

Überhaupt zeige ich im Programm, ganz regulär, immer wieder Archivfilme. Das hat mit dem Bezugssystem zu tun, der Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart und dem Verweis vom Gestern ins Heute. Die Filme kommen super an beim Publikum. Manchmal ist gar nicht klar, daß die Filme teilweise 30 oder 40 Jahre alt sind – weil sie einfach nichts von ihrer Relevanz verloren haben. Viele Künstler arbeiten mit historischem Material, mit den Videobändern der Eltern, den VHS Kassetten und Super-8-Filmen. So ist die Vergangenheit fast doppelt repräsentiert und damit präsent. Allerdings handelt es sich bei den meisten Filmen um gegenwärtige Weltpremieren.

In diesem Jahr zeige ich LOS MURMULLOS von 1976. Die Armut im mexikanischen Dorf, erzählt von den Bewohnern, fotografiert und zugehört von Rubén Gámez.

los murmulloslosmurmoles

Die 1970er waren in Lateinamerika die Jahre des Neuen Lateinamerikanischen Kinos: eines kämpferischen, selbstbewußten Kinos- eines lauten Kino! Die These des neuen Lateinamerikanischen Kinos war es über die Montage den Zuschauer zu politisieren und dadurch zu emanzipieren. Dadurch ist Film eine wichtige und mächtige Waffe im Kampf gegen den Kapitalismus und Kulturimperialismus. Und dann kommt Rubén Gámez und macht einen ganz ruhigen Film. Er hört einfach nur zu. In großer Würde bildet er die Armut ab. Er gibt den Menschen Platz für ihre Sorgen, ihre verschiedenen Leben. Ein feiner zeitloser Film. Die Macht der Industrie gerade im Agrarsektor ist null gebrochen und Grund für eine flächendeckende Armut in Abhängigkeit in Ländern, wie u.a. Mexiko, Indien etc.

Als ich gefragt wurde, ob ich diese Arbeit machen wollte, war mir sofort klar: ja. Ich war schwanger, und deswegen ging es nicht sofort sofort. Die Position bedeutet Einfluss auf das Narrativ zu haben – wie wird etwas, was schon oft erzählt wurde, wiedererzählt, abgebildet, erinnert.

Es geht um die Erinnerungsbilder. Die Kraft der Erinnerungsbilder.

Vintage Print Siegfried A. Fruhauf

Das Tolle ist, dass wir uns immer wieder im Kino befinden – die Ruhe und Konzentration des Black Cubes liebe ich. Ich mag auch die Ausstellung und die besondere Freiheit, die im Schlendern liegt, wenn man so durch die Räume der Ausstellung wandert, von Bewegtbild zur Hängung, zur Skultpur und zurück: emanzipierters Schauen.

Und ich liebe dann den Saal, den Dunklen!

Berlinals Shorts 2016 – Infos

Die Berlinale Shorts laufen in den folgenden Kinos.
Beginn: Montag 15.2.2016
Ende: bis einschliesslich 21.2.2016