GREEN|GONZALEZ: Arne Linde

Talking Heads - Mai Interview  

GREEN|GONZALEZ: Arne Linde

Der Kunstsommer ist in voller Blüte, was die beste Gelegenheit ist, um über den Berliner Tellerrand zu schauen. Wir sprachen mit der Gründerin der ASPN Galerie Arne Linde aus Leipzig. Was die global agierende Galeristin über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kunstszenen in urbanen Metropolen sowie den Stellenwert von physischen Ausstellungsräumen in Zeiten des digitalen Wandels zu sagen hat, erfahrt ihr im Interview.

Galeristin Arne Linde in der Ausstellung „Finissage“ von Famed und Michael Riedel, 2018

In den über 10 Jahren Deiner/Eurer Tätigkeit habt ihr Euer Programm auf Kunstmessen in Chicago, New York, Turin, Rotterdam, Wien und Köln u.a. gezeigt. Was bietet Leipzig Euch und Euren Künstlern?

Als ich die Galerie vor 13 Jahren eröffnet habe, gab es gleichermaßen lokale wie internationale Aspekte, die den Kunststandort Leipzig beeinflusst haben. Die Malerinnen und Maler der jüngeren sogenannten Leipziger Schule haben, verwurzelt in der hiesigen Kunsthochschule, eine unglaubliche große Aufmerksamkeit bekommen.

Die Aufmerksamkeit wiederum war international, „act local, think global“ war damals für eine junge Galerie in einer mittelgroßen ostdeutschen Stadt tatsächlich eine anwendbare Strategie.

Die damals generierte Bekanntheit für die hohe Qualität des Leipziger Kunstgeschehens trägt uns als Galerie bis heute. Die Art und Weise, mit der wir unsere Künstlerinnen und Künstler einem internationalen Publikum sichtbar machen, hat sich in den letzten Jahren stark verändert

Neue Räume auf dem Spinnereigelände. Foto: Stefan Fischer 2018

Neue Räume auf dem Spinnereigelände. Foto: Stefan Fischer 2018

Rückfrage GREEN | GONZALEZ: Inwiefern? Spielst Du auf die wachsende Bedeutung des Internets für den Kunstmarkt an? 

Ja, Digitalisierung und Globalisierung spielen eine Rolle. Als ich die Galerie eröffnete, gab es an wichtigen internationalen Messen die Art Basel, die Armory Show und dann kam länger nichts mehr. Die Art Cologne war nicht besonders auratisch, das Art Forum Berlin für uns als junges Format durchaus begehrenswert. Heute kann ich, wenn ich möchte, auf 20 oder 30 Messen für zeitgenössische Kunst im Jahr gehen – bzw., wenn ich zum Beispiel nach Miami und Miami Beach fahre, kann ich 20 verschiedene Messen innerhalb einer Woche besuchen.

Grit Hachmeister im Aufbau 2016 || Grit Hachmeister Fester, Acryl auf Leinwand, 40 x 30 cm, 2016

Im Zuge dieses unglaublichen Anwachsens von Marktplätzen für zeitgenössische Kunst rund um die Welt und deren steigender Vernetzung, prägt sich in meinen Augen ein stärker werdendes Bewusstsein für regionalere Resonanzräume aus. Wo es für mich 2005 das höchste der Gefühle gewesen wäre, es mal auf die Armory zu schaffen, bewerbe ich mich da heute gar nicht mehr. Wir haben die Galerie in Leipzig gerade flächenmäßig verdoppelt – was Messen angeht konzentrieren wir uns auf das europäische Ausland und auf ein inzwischen wirklich sehr großes Netzwerk in Europa und weltweit, welches dank Internet und digitalen Medien leichter zu pflegen ist. 

Art Rotterdam, Stand M21 – FAMED

Art Rotterdam, Stand M21 – FAMED

Das scheint sowohl ein klares Statement pro physischen Raum und auch pro Bedeutsamkeit des Kunststandortes Leipzig zu sein – in dem aktuell auch viel wahrnehmbare Bewegung passiert. Lass uns an dieser Stelle die Aspekte ‚Relevanz‘ und ‚Größe‘ im Zusammenhang mit der Rolle von Galerien im Kunstmarkt ansprechen: ist die Gegenüberstellung der internationalen Big Player Galerien zu regionalen mittelständischen ein David-gegen-Goliath Szenario? Wie schätzt Du das ein? Und wie gehst Du damit um? 

Pro Galerieraum! Das ist auf jeden Fall für uns eine ganz wichtige Haltung. Nur im Raum können wir künstlerische Positionen zur Entfaltung bringen und über die Präsentation singulärer Arbeiten hinaus tatsächlich Ausstellungen zeigen. Das kann kein 3D-Simulator auf einem Bildschirm ersetzen. Da entsteht in meinen Augen „Relevanz“, die immer auch ortsspezifisch ist.

Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass Qualität ohne Kontext nicht existiert, und ohne Bewusstsein für den eigenen Standort brauche ich auch international nicht anzutreten.  

Hinsichtlich des Verhältnisses zu den Big Playern musste ich letztens an den Systemtheoretiker Niklas Luhmann denken. Der sagt, dass Systeme, die zu stark wachsen oder deren Komplexität zu groß wird, dazu neigen, sich in Subsysteme aufzuspalten. 

Seit 2014 arbeitet ASPN Gründerin Arne Linde (l.) mit Co – Direktorin Carolin Nitsch zusammen. Foto: Arthur Zalewski

Seit 2014 arbeitet ASPN Gründerin Arne Linde (l.) mit Co – Direktorin Carolin Nitsch zusammen. Foto: Arthur Zalewski

Ich empfinde diese Theorie derzeit für das weltweite Kunstsystem als sehr anwendbar. Kunden, die auf der Art Basel nach Blue Chip Artists suchen, werden bei mir nicht fündig werden, Leute die mit einem fünfstelligen Budget im Jahr für Kunst umgehen, fühlen sich bei den sogenannten Big Player Galerien fehl am Platze.

Wenn man sich andererseits die Berichterstattung über Künstler wie Jeff Koons anschaut – die „Relevanz“ die da verhandelt wird, bezieht sich auf seine astronomischen Preise, sein strategisches Vorgehen und seine Rolle als Superstar.

Für künstlerische Inhalte ist in Anbetracht seines Ruhms kaum mehr Raum, er wird viel mehr als ein Medienereignis denn als ein Künstler wahrgenommen. Dieses millionenschwere Top-Segment hat eine Eigengesetzlichkeit entwickelt, die entsprechend wenig mit der täglichen Arbeit der allermeisten Galerien zu tun hat. Trotzdem bleiben diese Subsegmente natürlich diffusionsoffen, darin liegt ja auch der Reiz: Sich entwickeln, weiterkommen, eine Art Fortschritt zu erkennen und zu bewerkstelligen, das wollen alle, Künstlerinnen und Künstler, die Galerien und natürlich auch die Leute, die Kunst kaufen und somit das ganze System erst zum Laufen bringen. 

Maya Schweizer, I, an archeologist. Ausstellungsansicht 2014

Maya Schweizer, I, an archeologist. Ausstellungsansicht 2014

An dieser Stelle eine ganz andere Frage: Und zwar die, wie Du die Leipziger Kunst- und Kulturlandschaft benennen würdest? Berlin hat dieses abgedroschene ‚arm aber sexy‘ am Hacken kleben – gibt es aus Deiner Sicht einen Slogan für Leipzig?

Leipzig gilt als sehr solide, was die handwerkliche Seite der künstlerischen Produktion angeht. Inhaltlich gab es in der jüngsten Geschichte wenig Enfant terribles oder wirklich radikale Ansätze. Das hängt sicherlich auch mit der Situation zusammen, dass die Wende 1989 als extreme gesellschaftliche Erschütterung insgesamt kein Klima fortgesetzter Infragestellung der politischen oder sozialen Verhältnisse erzeugt hat, da waren erstmal andere Dinge wichtig. Gleichzeitig ist Leipzig bis heute überschaubar, fast familiär und produziert entsprechend wenig Schwellenangst. Dieser Slogan „Leipzig is the better Berlin“, der vor ein paar Jahren mal rumgeisterte, hat schon was Kokettes, und diese leichte Großfressigkeit gefällt mir ganz gut in der Stadt und insbesondere in der Kunstszene.

Ganz früh in den 1990ern hieß der offizielle Slogan mal: „Leipzig kommt“ – wenn ich so darüber nachdenke, dann passt der heute eigentlich perfekt!

Jochen Plogsties, Shanzhai. Ausstellungsansicht 2017

Jochen Plogsties, Shanzhai. Ausstellungsansicht 2017

Wer waren die ersten Künstler des ASPN Galerieprogramms und wo bewegen sie sich heute?

Da könnte ich nun sehr sehr viele großartige Beispiele aufzählen und – wenn ich 13 Jahre zurückblicke – natürlich auch ein paar nicht so strahlende Geschichten erzählen. Ich bin total froh dass wir nach wie vor etwa mit Grit Hachmeister zusammen arbeiten, die schon in der Eröffnungsausstellung 2005 vertreten war, oder mit Jochen Plogsties und Robert Seidel, die inzwischen beide ihre Ateliers in unmittelbarer Nähe zur Galerie auf dem Spinnereigelände haben, und mit denen uns eine intensive und produktive Zusammenarbeit verbindet. Ganz generell kann ich sagen: Alle Künstlerinnen und Künstler, mit denen wir heute arbeiten, sind in tollen Sammlungen vertreten und haben stete, zum Teil sehr rasante Entwicklungen vorgelegt.

Wir als Galerie sind ja auf eine bestimmte Art auch nur die Summe der Erfolge unserer artists.

Und das Niveau wächst weiter, da bin ich insgesamt gerade sehr optimistisch.

Matthias Reinmuth, Stephanie Stein: fold. Exhibition view 2017

Matthias Reinmuth, Stephanie Stein: fold. Exhibition view 2017

Wenn man Arne Linde als Grande-Dame in ferner Zukunft befragen würde – welches Statement ist rückblickend betrachtet für die pre-2020er bezeichnend ?

Ich bin überzeugt, dass sich in den nächsten Jahren die Galeriearbeit verändern wird. Wir alle werden stärker auf Netzwerke und Kollaborationen angewiesen sein, das System „Kunstmarkt“ wird sich stärker in Subsegmente aufgliedern und Messen, auf denen vom lokalen Projektraum bis zum Big Player mehrere hundert Galerien versammelt sind, sehe ich nicht wirklich als die Zukunft des Kunstmarktes. Ich sehe Leipzig wachsen und gedeihen, ich sehe die Spinnerei als Kunststandort, der sich sehr nachhaltig entwickelt und ich bin sicher, dass die Kunst an Relevanz nichts einbüßen wird.

Und darüber hinaus würde ich sagen: trust your gallerist.

ASPN

Spinnereistr. 7 / Halle 10

D-04179 Leipzig

www.ASPNgalerie.de

Header Photo: Grit Hachmeister, Goethe. C-Print, 100 x 150 cm, Auflage 3 + 2, 2014

Authors: Barbara Green, Wayra Schübel von GREEN | GONZALEZ