Chrischa Venus Oswald – Mit dem Tod auf rauh und direkt

Künstler Interview 

Chrischa Venus Oswald – Mit dem Tod auf rauh und direkt

Chrischa Venus Oswald, für Ihre eindringlichen Videoinstallationen bekannt, hat uns im Palazzo Strozzi mit MOTHER TONGUE umgehauen. Besuch im Berliner Atelier

Chrischa Oswald: Mothertongue

CHRISCHA VENUS OSWALD: WIE NAH DARF DER TOD AN UNS HERAN?

Als Chrischa Venus Oswald Anfang des Jahres im Palazzo Strozzi im Rahmen der Ausstellung „Family Matters“ ihre Arbeit „Mother Tongue“ präsentiert, tut sie das neben Künstlern wie Nan Goldin und Sophie Calle. Und bleibt uns nachhaltig im Gedächtnis. Dann bekommen wir die Möglichkeit zur Preview ihrer neuen Videoarbeit „BED“ mit der sie den Tod ihrer geliebten Großmutter verarbeitet. Wir sind gefesselt. 

Das Passwort für das Video  – „YOU ARE A GARDEN“ – löst eine Lawine von Assoziationen, Gefühlen und Erinnerungen aus. Graben wir unser Denken und Handeln oft genug um? Was säeen wir im täglichen Reagieren? Und wieviel Angst haben wir wirklich vor dem Tod, wie nah und tatsächlich können wir diesen an uns heranlassen?

Und so wirkt auch die neue Arbeit Oswalds wie ein riesiger Rechen im Gefühlsbeet: aufwühlend, rauh und direkt.

Altes wird aus dem dunklen Unterbewusstsein in das grelle Licht der Realität nach oben gekehrt. Aufmerksamkeit und Empathie einfordernd. Es kostet Geduld und Mut sich die Zeit zu nehmen, einfach mal zuzusehen und geschehen zu lassen. Wer hält schon freiwillig die Intensität diffuser und schmerzhafter Gefühle aus?

FAMILY BONDS

Chrischa Venus Oswalds Herkunft, sie wächst in Niederbayern auf, und Ihre Familie spielen immer wieder eine große Rolle in Ihren Arbeiten. Das funktioniert in ihrem Fall besonders gut und bringt klare und wunderbare, aber eventuell auf den ersten Blick befremdlich anmutende Arbeiten hervor. 

So birgt auch ihr Künstlername neben einer sehr bewusst weiblichen Persönlichkeit auch andere Facetten… Venus as a boy.

So sehr ich mich als Frau fühle und gerne eine bin, so sehr lege ich Wert auf meine männliche Seite… vielleicht auch, weil ich mich immer noch so ein bisschen als der vierte Junge in der Runde sehe. Es waren ja immer meine zwei Cousins und mein jüngerer Bruder dabei. Wir waren eine Gang.

INTERVIEW IN CHRISCHA`S ATELIER IN BERLIN

Self Portrait Chrischa Venus OswaldChrischa Oswald: Polish

Chrischa, das Thema Familie zieht sich wie ein roter Faden durch deine Arbeiten. Erzählst du uns warum?


Es gibt wohl zwei Gründe dafür: Einerseits ist meine Familie ein sehr wichtiger Teil meines Lebens. Andererseits interessiert sie sich relativ wenig in der Art und Weise für Kunst, wie ich es tue. Ich wollte diese zwei wichtigen Pole in meinem Leben zusammenbringen und meine Familie in meine Kunst und den Prozess des Kunst-Machens mit einbinden. Das fand ich sehr spannend. Darüber hinaus interessiert mich das Thema Beziehungen (diverser Art). Es war also relativ logisch, mit meiner Familie anzufangen – auch wenn ich für manche Arbeiten monatelang auf sie einreden musste und ich sie damit ganz schön strapaziert habe.

Kannst Du uns ein wenig erzählen wie du aufgewachsen bist, was dich geprägt hat, deine Roots?


Ich bin mit meinem jüngeren Bruder in einer niederbayrischen Kleinstadt aufgewachsen und habe viel Zeit auf dem Land bei meinen Großeltern und mit meinen Cousins verbracht. Sehr idyllisch, sehr behütet und sehr bodenständig. Mit Sicherheit hat mich diese enge Beziehung zu meiner Familie geprägt und auch die Nähe zur Natur, die mich immer wieder zutiefst fasziniert und berührt. Da war viel Raum für Fantasie in diesem Aufwachsen. Ich war jedenfalls immer ein sehr neugieriges Kind und diese Neugierde habe ich bis heute behalten. Ein starkes Interesse für Kunst war da außerdem (als ich klein war, hab ich auch immer gesagt, ich würde mal einen Künstler heiraten), aber woher das kam oder kommt, darüber rätselt meine Familie bis heute, haha. Andererseits gibt es natürlich auch Strukturen oder Denkweisen, die einem vor allem in einer kleinen Stadt begegnen oder verstärkt auffallen und die man dann zu hinterfragen beginnt oder aufbrechen möchte…diese Erfahrungen fließen auch in meine Arbeit mit ein.

Deine aktuelle Arbeit beschäftigt sich mit dem Tod Deiner Großmutter. Sie legt den Fokus auf ein existenzielles Thema, mit dem sich viele Menschen nur ungern auseinandersetzen. Sie hat mich sehr berührt. Konntest du nur so ihren Tod richtig verarbeiten, bzw. begreifen? Quasi haptisch, visuell und innerlich?

Es gibt dieses etwas unheimliche Frühbeet in unserem Garten, das mich schon immer an ein Grab erinnert hat. Als meine Oma starb, für die dieser Garten das halbe Leben bedeutet hat, war für mich klar, dass das der Zeitpunkt ist, mich generell mit diesem Schaudern vor dem Tod auseinanderzusetzen. Es war auch ein Versuch, ihren Tod zu begreifen und Abschied zu nehmen (als mein Opa starb, war ich noch zu jung dafür).

Bevor sie starb, haben wir uns öfter darüber unterhalten, dass sie später einen Garten im Himmel haben wird und Teil eines größeren Gartens sein wird.

An diese Geschichte habe ich angeknüpft und über das Physische und die Dinge, die von ihr blieben (ihr Beet, ihr Gartenkleid, ihr Laken), versucht, mich geistig und emotional an ihre Seite zu begeben. Mein Schlaf in der Erde, die Performance, ist auf diese Weise wirklich ein Ritual, um eine Transformation zu begreifen und etwas, das immer sehr abstrakt erscheint, visuell/metaphorisch und trotz des schwierigen Motivs auch poetisch umzusetzen, um auch anderen einen Zugang dazu zu ermöglichen.

Bitte erzähle uns von Florenz: Du hast Anfang des Jahres im Palazzo Strozzi ausgestellt, neben Künstlern wie Nan Goldin oder Sophie Calle. Wie war das? 

Das war natürlich eine großartige Erfahrung, mit so etablierten Künstlern, deren Arbeiten man respektiert und liebt, ausstellen zu dürfen. Franziska Nori, die nun die neue Direktorin des Frankfurter Kunstvereins ist, hat mir ermöglicht, meine 2-Kanal-Installation „Mother Tongue“ im Rahmen von „Questioni di Famiglia“ perfekt zu präsentieren und mir einen wunderbaren Raum gegeben. Es war überwältigend, die Arbeit in der Dimension zu sehen und es gab sehr viel motivierendes Feedback. Auch meine Familie hat sich die Ausstellung später angesehen, was mir besonders viel bedeutet hat, da meine Mutter eben auch Teil der Performance ist und anfangs ein sehr ambivalentes Verhältnis zum Video hatte.

Du arbeitest mit verschiedenen Medien, Deine Video-Installationen haben aber einen besonderen Wumms, wenn ich das mal ganz salopp ausdrücken darf.

Haha, „Wumms“ ist eine interessante Zusammenfassung. In der Tat höre ich oft, dass manche meiner Videoarbeiten verstörend sind oder schwer verdaulich. Im Grunde haben sich die Videos aus meiner Fotografie entwickelt, die oft einen sehr performativen Ansatz hatte. Kurz nach meinem Diplom habe ich einen wunderbaren Menschen und Mentor kennengelernt, der aufgrund meines Videos „Angel Wings“ meinte, er sähe Potenzial für mehr Video-Performances. Ich habe es zu einem großen Teil ihm und seiner Motivation zu verdanken, dass ich mich weiter in diese Richtung getraut habe, die mich im tiefsten Inneren schon immer sehr gereizt hat.

Es ist sehr persönlich, sehr konzentriert, dabei sehr extrovertiert und eine Möglichkeit, Grenzen auszutesten. Eine ganz besondere Herausforderung.

Chrischa Oswald: mmxiiiChrischa Oswald: Glacier Party

Eine andere Weise, Dinge zu erzählen und auch eine Herausforderung für den Betrachter, der geduldig sein muss, der sich darauf ganz anders einlassen muss als zum Beispiel auf ein Foto. Das Video öffnet für mich neue Wege, zu kommunizieren und verschiedene Ebenen aufzumachen, die nicht immer eindeutig sein müssen. Gerade weil meine Arbeiten sich stark um die Conditio humana drehen, ist solch ein zeitbasiertes Medium, das die Realität abbilden kann und bei mir aktuell aber sehr stark zwischen persönlicher Narration und existenzieller menschlicher Erfahrung oszilliert, wohl momentan das Ideale für meine Ideen.

Bitte erzähle uns von Deinen Plänen, was liegt in 2015 für Dich an?


Es gibt einige Ideen, an denen ich arbeiten möchte, in erster Linie Videos, aber nicht nur. Eigentlich habe ich auch vor, die umfassende Foto-Serie über meine Oma in Form eines Künstlerbuches umzusetzen, aber dafür brauche ich viel Zeit und es wird sehr intensiv, insofern schiebe ich es momentan immer noch etwas nach hinten… Im Februar reise ich nach Bangladesch, was sicher auch spannende Impulse gibt für eine Arbeit vor Ort oder eine, die davon inspiriert ist. Ich bin jedenfalls sehr motiviert. Und langweilig wird mir so und so nicht…ich bin ja neugierig.

Ihr Arbeiten und den Kontakt zu ihr, findet ihr auf www.chrischa-oswald.com