Mit Helga Schmidhuber 3 x durch den Juni

Interview  

Mit Helga Schmidhuber 3 x durch den Juni

Wir haben die wunderbare Helga Schmidhuber als Stipendiatin der sommer.frische.kunst 2017 in Bad Gastein kennengelernt und waren sofort von ihrer Vielseitigkeit vereinnahmt. Ihre Arbeiten zeugen von einer niemals endenden Neugierde, die sich auf den Betrachter sofort überträgt – was hat es hiermit auf sich, wo hat sie das gefunden, wie ist sie darauf gekommen? Wir freuen uns, dass es nun gleich die dreifache Dosis Helga Schmidhuber zu sehen gibt: Im Kunstquartier Bethanien, im Spreewald und in Hamburg beim 4. Alster Salon, solltet ihr nicht die Chance verpassen, Arbeiten einer der aktuell spannendsten Künstlerinnen anzusehen und euch sprichwörtlich unter die Haut gehen zu lassen!

o.T. aus „Petrichor”, 2017, 162 x 220 cm, Mischtechnik auf Leinwand, Holz, Metall

o.T. aus „Petrichor”, 2017, 162 x 220 cm, Mischtechnik auf Leinwand, Holz, Metall

Liebe Helga, in der vom Büro Adalbert kuratierten Ausstellung „MICROFICTION“ liegt das Hauptaugenmerk auf der Entstehung von Narration. Nun kann Narration so vieles sein, dramatisch, poetisch, inszeniert, real… Was bedeutet Narration für dich und in deinen Arbeiten? 

In meiner Malerei steht das Experiment im Vordergrund. Beim Malen gehe ich im Beginn immer von freien, abstrakten Farbaufträgen aus. Erst wenn der erste fertige Layer getrocknet ist, suchen sich gegenständliche Motive – zumeist Tiere – ihren Platz auf der Leinwand. Diese animalischen Akteure bestimmen zum einen die Komposition dominant, dienen mir aber auch als Köderfische zum Betrachter … Soviel zu meinem Malprozess, bei dem ich nicht im Geringsten über Erzählerisches nachdenke. Ganz im Gegenteil: Im Atelier geht es mir ausschließlich darum, akute, selbst verursachte Malprobleme zu lösen. Mein gedanklicher Film wird ganz nebenbei Farbe.

Wenn ein Gemälde fertig ist, lasse ich es frei. 

Der Dialog zwischen Werk und Betrachter kann beginnen. Da mische ich mich nicht ein. Die Narration beginnt erst beim Sehenden. 

o.T. aus „Altare“, 2016, 28,3 x 40 x 5 cm, Applikation diverser Materialien in Holzschrein

o.T. aus „Altare“, 2016, 28,3 x 40 x 5 cm, Applikation diverser Materialien in Holzschrein

Sind KünstlerInnen auch immer Autoren/Autorinnnen?

Als Autorin im Sinne von Erzählende sehe ich mich definitiv nicht. Im Sinne von Urheberin oder Werkschaffende kann man mich als Autorin bezeichnen. Arbeite an meinem Werk und brenne für Unikate.

Welche Werke wirst du ausstellen? Wir hörten schon, dass einer deiner Altare dabei sein wird?

Zum einen wird bei „Microfiction“ im Künstlerhaus Bethanien erstmals ein kleiner Objektkasten gezeigt werden, der als Reise-Altar gedacht ist. Diese Arbeit ist ein sehr persönliches Selbstportrait, weshalb ich es bisher vor der Öffentlichkeit zurück gehalten hatte. Nun ist es an der Zeit es zu zeigen. Dazu kommt eine größere Malerei auf Leinwand aus der Serie „Petrichor – deep sea“, die frei schwebend, animiert von einem Ventilator, präsentiert wird.

o.T. aus „Petrichor – Deep Sea”, 2017, 43 x 40 cm, Mischtechnik & Applikation auf Siebdruck

o.T. aus „Petrichor – Deep Sea”, 2017, 43 x 40 cm, Mischtechnik & Applikation auf Siebdruck

Ihr seid insgesamt 10 KünstlerInnen bei „MICROFICTION“: Wirkt in der Ausstellung jeder für sich oder agieren eure Werke miteinander? Ist so etwas überhaupt planbar oder entwickelt sich ein Miteinander immer erst, wenn die Werke unterschiedlicher Künstler tatsächlich vor Ort in ein gemeinsames Spannungsfeld treten?

Die Ausstellung „MICROFICTION“ wurde von den beiden Künstlern Dominik Halmer und Ria Patricia Röder kuratiert, deren Werke ich sehr schätze. Es ist davon auszugehen, dass die unterschiedlichen Positionen spannend aufeinander treffen. Finde das Konzept außerordentlich interessant, da der Besucher die Möglichkeiten der Narration vergleichen kann.

: o.T. aus „Petrichor”, 2017, 270 x 190 cm, Mischtechnik auf Leinwand

: o.T. aus „Petrichor”, 2017, 270 x 190 cm, Mischtechnik auf Leinwand

Dann wirst du noch beim Festival „HORSTŸVAL“ im Spreewald mit dabei sein – dort wird nach 2001 und 2012 wieder „Hel5: Radical Ink“ walten, das sprichwörtlich unter die Haut geht. Jeder Besucher, der will, bekommt von dir ein Unikat – einmal auf Papier und einmal auf die Haut tätowiert. Wie kamst du auf diese schöne Idee?

Mich fasziniert am Tätowieren das Ewige. Meine „Hel5: Radical Ink“-Aktionen finden jeweils auf Festivals oder Ausstellungen statt. Der Besucher ahnt nicht, dass er vor Ort tätowiert werden kann. Für mich  ist unvorstellbar, ein Motiv zweimal stechen zu lassen. Daher gehe ich einen Deal ein, indem ich die Original-Zeichnung im Gegenzug verschenke.

o.T. aus „Wenig Zeit zwischen zwei Fingern”, 2017, Mischtechnik auf Bucheinband

o.T. aus „Wenig Zeit zwischen zwei Fingern”, 2017, Mischtechnik auf Bucheinband

Zur Erläuterung kommt hier mein Hel5-Manifest zu Radical Ink:

hel5 liebt ewige Zeichen.

hel5 kennt Tiere persönlich.

hel5 liebt Dunkelschwarz sehr.

hel5 sucht das Gute & Beste im Diesseits.

hel5 schätzt Einzigartigkeit.

hel5 macht keine Kompromisse.

hel5 huldigt deiner Haut.

hel5 garantiert das Exklusive.

 

o.T. aus „Wenig Zeit zwischen zwei Fingern”, 2017, Mischtechnik auf Bucheinband

o.T. aus „Wenig Zeit zwischen zwei Fingern”, 2017, Mischtechnik auf Bucheinband

Entscheidest du über das Motiv für die jeweilige Person oder entscheiden die Besucher? Wie ist da der Prozess? 

Selbstverständlich soll sich der Besucher sein Motiv aussuchen. Ich beobachte und begleite den Prozess vom ersten Interesse bis zur Ausführung. Außerdem berate ich bei der Platzierung des Motivs, damit die Wirkung optimal zur Geltung kommt. Die Hel5-Aktionen sind für mich wirklich außerordentlich spannend. 2001 wurde beispielsweise ein stark behaarter Bierbauch mit einem Skispringer veredelt. Das sah dann so aus, als ob der Skispringer über einen Wald fliegt. In Frankfurt auf dem Lüften-Festival wurden junge Eltern mit meinen Motiven versorgt, die sich abwechselnd um ihr Baby kümmerten. Ein anderer Interessent, der mein Konzept nicht verstanden hatte, wollte, dass ich ihm eine riesige Waschmaschine für den Rücken zeichne. Das habe ich abgelehnt.

o.T. aus „Wenig Zeit zwischen zwei Fingern”, 2017, Mischtechnik auf Bucheinband

o.T. aus „Wenig Zeit zwischen zwei Fingern”, 2017, Mischtechnik auf Bucheinband

Was passiert außerdem beim „HORSTŸVAL“?

Beim „HORSTŸVAL“ handelt es sich nicht um ein Festival im klassischen Sinn. Vielmehr haben Jarii van Gohl und André von der heißgeliebten Post-Punk-Noise-Band DŸSE weitere befreundete Bands ZSA, LEMUR, Lila Bungalow eingeladen in dem ehemaligen DDR-Naherholungsgebiet am Horstteich im Spreewald unplugged zu spielen. Es wird am 15. und 16. Juni viel geboten. Man darf gespannt sein.

: o.T. aus „Petrichor”, 2017, 170 x 160 cm, Mischtechnik auf Leinwand

: o.T. aus „Petrichor”, 2017, 170 x 160 cm, Mischtechnik auf Leinwand

Weiter geht es für dich beim 4. Alster Kunstsalon von MerckFink, der von Andrea von Goetz und Schwanenfliess, die du als künstlerische Leiterin des sommer.frische.kunst Festivals und Gründerin der Kunstresidenz Bad Gastein kennengelernt hast, kuratiert wird. Der Ausstellungstitel lautet „FAN // Flowers, Animals, Nature“ und es werden Werke aus deiner Reihe „Petrichor“ zu sehen sein. Erzähl uns bitte, was „Petrichor“ bedeutet.

Der Begriff Petrichor bezeichnet den Geruch von Regen auf trockener Erde. Das Wort leitet sich aus dem Griechischen ab. Das Wort petros bedeutet Stein und ist kombiniert mit Ichor, der Flüssigkeit, die, nach der griechischen Mythologie, in den Adern der griechischen Götter fließt.[

Ich liebe den Geruch Petrichor, da ich ihn mit dem Sommer verbinde. Erst vor wenigen Jahren habe ich realisiert, dass ich Synästhetin bin. Das bedeutet, dass ich die Bereiche Farbe, Form, Klang und Geruch verknüpft d.h. gekoppelt wahrnehme. In der von Andrea von Goetz und Schwanenfliess kuratierten Show werde ich in Hamburg große Gemälde aus der Serie „Petrichor” zeigen, bei denen überlappende Wahrnehmung eine Rolle spielt.

o.T. aus „Petrichor – Deep Sea”, 2017, 43 x 40 cm, Mischtechnik & Applikation auf Siebdruck

o.T. aus „Petrichor – Deep Sea”, 2017, 43 x 40 cm, Mischtechnik & Applikation auf Siebdruck

Außerdem wird es Bilder zu sehen geben, die naturwissenschaftlichen Illustrationen zur Grundlage haben, aber deren Wirkungsweise so gar nichts mit drögen Erklärbildern gemein haben wollen, sondern uns – ganz im Gegenteil – auf eine verträumte Ebene bringen, in die man beim Anblick der Bilder richtig hineintauchen möchte. Entstehen diese Bilder so auch bei dir, dass du mit ihnen in eine andere Realität tauchst?

Die kleinformatigen Arbeiten aus der Serie „Petrichor – deep sea” haben tatsächlich Ausschnitte von Schul-Schaukarten aus den 50er Jahren als Ausgangsmaterial.  Diese Arbeiten sind auf meinem letzten Artist-In-Residency im Kunstzentrum CCA auf Mallorca entstanden. Das Mittelmeer bietet mir tatsächlich einen unverwechselbaren Code an Sinneseindrücken. Auch wenn ich Ausschnitte aus Darstellungen diverser Nutzpflanzen wie Mais oder Gerste genommen habe, befinde ich mich gedanklich in der Tiefsee. Dort imaginiere ich flüchtig vorbei schwimmende Lebewesen, die es dort meiner Meinung nach geben könnte.

»…..m i c r o f i c t i o n« kuratiert von »Büro Adalbert«

Kunstquartier Bethanien | Mariannenplatz 2, 10997 Berlin | Eröffnung: 14. Juni 2018 | 18-21 Uhr | Ausstellung: 15. – 17. Juni 2018 | 12-18 Uhr | 16. Juni Sommerfest Bethanien

Tim Berresheim, Björn Drenkwitz, Dominik Halmer, Eliana Heredia, Moray Hillary, Felix Kultau, Ria Patricia Röder, Helga Schmidhuber, Kate Stone, Marlon Wobst

»hel5: RADICAL INK« beim »HORSTŸVAL 2018«

 

kuratiert von »DŸSE« | Bornsdorf /Spreewald | 15.06.-17.06.2018

  1. AlsterKunstSalon: »FAN // Flowers, Animals, Nature« kuratiert von Andrea v. Goetz und Schwanenfliess

Merck Finck | Im Alstertor 17, 20095 Hamburg | Eröffnung: 20. Juni 2018 | 19.30 Uhr