Die Polenbegeisterungswelle in Berlin

INTERVIEW  

Die Polenbegeisterungswelle in Berlin

Migration von polnischen Künstlerinnen und Künstlern nach Deutschland, vor allem nach Berlin, hat es immer schon gegeben. Das zweiwöchige Festival „Polenbegeisterungswelle – Cultural Topographies of Polish Berlin”, das am 7. Oktober im Studio 1 im Kunstquartier Bethanien eröffnet, wird dies nicht nur Generationsübergreifend in Bezug auf die teilnehmenden polnischen Künstler, sondern auch hindurch alle künstlerischen Formate darstellen.
Der besondere Fokus liegt auf den individuellen, künstlerischen Aussagen. Ruszamy!

3. Wawrzyniec_Tokarski, 2x10E8th ANNIVERSARY 300x400cm acrylic on cotton 2005 (studio)

Wawrzyniec Tokarski, 2x10E8th ANNIVERSARY 300x400cm acrylic on cotton 2005

Ich fange gleich mal an mit dem historischen Titel eures Festivals, die „Polenbegeisterungswelle“ die 1830 nach dem sog. Novemberaufstand entstand. Kann ich mir das so vorstellen, das dieser Begriff in Polen noch geläufig genutzt wird, oder habt ihr ihn für die Zielsetzung eures Festivals quasi wieder ausgegraben?

Jagna Anderson und Berenika Partum: Der deutsche Begriff Polenbegeisterung erinnert an die Willkommenskultur, die in der Zeit des nation building in Europa gelebt und gerade von Kunst- und Kulturschaffenden getragen wurde: er bezeichnete die großen Sympathiebekundungen, welche polnische Emigranten in den deutschsprachigen Ländern genossen. Man feierte und unterstützte sie als Freiheitskämpfer. Später in den 1980er Jahren wurde der Begriff erneut als Ausdruck der deutschen Unterstützung für die Protestaktionen der Solidarnosc-Bewegung verwendet. Für uns ist der Begriff Polenbegeisterung ein schillernder Begriff, dessen Ambivalenz und ironisches Potential wir auskosten wollen: Zwischen der Begeisterung für die hervorragende Kunst und der Entgeisterung, die zurzeit in den europäischen Medien über polnische Politik herrscht; zwischen der Begeisterung für unsere Arbeit als Kuratorinnen und Künstlerinnen, und dem kritischen Blick auf die kulturpolitischen Entwicklungen, verorten wir unsere ergebnisoffene Bestandsaufnahme.

Partum_Installation_Metapoetry_2012_PU_7_

Ewa Partum, Active Poetry, 2012 Sydney Biennale

Erklärt unseren Lesern bitte kurz um was es Euch ganz konkret geht, was möchtet ihr in diesen zwei Wochen am Standort Berlin auslösen? Wie soll im Idealfall diese Welle aussehen, bzw. wirken?

Jagna Anderson und Berenika Partum: Wir möchten mit diesem zweiwöchigen Projekt vor allem einen Dialog zwischen den Künstlerinnen und Künstlern, deren Herkunft polnisch ist, und dem Berliner Publikum initiieren. Gerade aufgrund der aktuellen politischen Geschehnisse in Polen denken wir, dass ein tieferes Verständnis der gesellschaftlichen Situation in Polen nötig ist. Die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler zählen zu wichtigen Stimmen, die sensibel, geistreich und kompromisslos auf die politischen und kulturellen Ereignisse reagieren. In Zeiten, in denen es zwischen Globalisierungsrausch und verzweifelter Identitätssuche zu starken gesellschaftlichen Polarisierungen kommt, wollen wir die Fragen nach dem Status der Lokalität, der Transnationalität und der nationalen Herkunft in der Produktion und Rezeption der zeitgenössischen Kunst praxisnah und fallbezogen untersuchen.

Exhibition, Marlborough Contemporary.

Agnieszka Brzeżańska, OPANGHT, 2015, oil on canvas, 200 × 150 cm

Wie ist eure Rolle hierbei, euer Engagement in Bezug auf das Festival entstanden?

Jagna Anderson und Berenika Partum: Wir sehen unsere Rolle als Vermittlerinnen und Initiatorinnen. Wir sind beim Verein agitPolska – Polnisch-Deutsche Initiative für Kulturkooperation e.V., der die Veranstaltung organisiert, seit langem engagiert und unterstützen mit unterschiedlichen Projekten die lebendige polnische Kultur in Berlin. Der Verein fördert nicht nur den direkten Austausch von Kunst und Kultur zwischen Polen und Deutschland und will beide Kulturen näherbringen, sondern will auch kritische Dialoge anregen. Die Idee, ein Festival mit zeitgenössischen KünstlerInnen polnischer Herkunft zu organisieren ist als Antwort auf die aktuellen politischen Entwicklungen entstanden, die wir in den letzten zwei Jahren in Polen beobachten und die uns natürlich auch verunsichern.

Dominik Lejman, PLOT

Dominik Lejman, Płot, proposal for the Polish Pavilion Venice 2017

Und wo wird euer Festival konkret ansetzen um hier aus den geplanten Aktionen neue und nachhaltige Impulse zu setzen? 

Jagna Anderson und Berenika Partum: Wir setzen konkret beim Standort Berlin an und von hier aus erkunden wir die sozialen Räume, in denen sich die künstlerische Praxis abspielt. In diesem Sinne präsentieren wir nicht nur Kunst als Endprodukt, sondern fächern das breite Spektrum der Bezüge auf, die auf dem Weg vom kreativen Prozess, über die konkreten Arbeitsumstände bis hin zu Kunstkritik und institutionellen Vermittlung entstehen. Die Polenbegeisterungswelle kombiniert deshalb unterschiedliche Formate:  Ausstellung, Atelierbesuche, Galerieführungen, Gesprächsrunden, Video Screening, Performances. Hiermit wollen wir den Impuls setzen, die Kunst als Teil des lebendigen Gewebes der Stadt zu erfahren.

Aleks Slota House of the Lord

Aleks Slota, House of the Lord

Gab es übereinstimmende Aspekte die ihr transportieren wolltet?

Jagna Anderson und Berenika Partum: Ausschlaggebend war der Wunsch, eine Vielfalt an künstlerischen Praktiken zu zeigen. Performancekunst, Malerei aber auch Konzeptkunst und Neue Medien sowie Skulptur. Prinzipiell sollten als Überblick viele Medien vertreten sein.

ZORKA_WOLLNY

Zorka Wollny, Impossible Opera, 2017 – Unmögliche Oper – Komposition für die Peterstraße und eine Menschenmenge, produziert vom Edith-Russ-Haus

Nennt uns bitte ein paar Highlights in den zwei Wochen die ihr hervorheben wollt!

Jagna Anderson und Berenika Partum: Wir zeigen zunächst zur Eröffnung des Festivals eine Woche lang eine Einzelausstellung des Malers Wawrzyniec Tokarski. Der aus Danzig/Polen stammende Maler, der seit dem Jahr 2000 in Berlin lebt, bezieht sein Material aus Massenmedien, Nachrichtenfotos oder Werbung. Dabei versucht er mit sarkastisch-skeptischem Grundton seiner mitunter auch politischen Bildbotschaften beim Betrachter eine Reaktion hervorzurufen. Die Ausstellung wird eine Auswahl seiner Arbeiten im Studio 1 zeigen. Im Zusammenhang der Ausstellung zeigen wir ein vielfältiges Performanceprogramm, u.a. choreographische Auseinandersetzungen mit dem Veranstaltungsort von Ania Nowak, Anna Nowicka und Gosia Gajdemska. Zorka Wollny, eine Künstlerin jüngerer Generation, wird gemeinsam mit den Direktoren des Edith-Russ-Hauses ihr neustes Projekt „Unmögliche Oper” in einer Filmpremiere vorstellen. 

Die „Unmögliche Oper“ wurde vom Edith-Russ-Haus produziert und während der Langen Nacht der Musik 2017 vorgeführt, in Zusammenarbeit mit lokalen Künstlern. Dominik Lejman wird in einer Diskussion eine Arbeit vorstellen, welche auf subtile Weise die aktuellen Ängste und Sorgen der Europäer aufgreift, insbesondere die polnischen. Die Videoinstallation mit dem polnischen Titel „Płot“ bedeutet zu deutsch der Zaun. Dass gerade der Zaun in der Videoinstallation von Lejman Verwendung findet ist kein Zufall: Ein Zaun bietet im Gegensatz zur Mauer zwar die Möglichkeit sich abzugrenzen, aber gleichzeitig kann man auch sehen, was hinter einem Zaun auf der anderen Seite passiert. Das kann man natürlich auch auf die aktuelle Haltung in Polen zu bestimmten politischen Themen übertragen.

Polenbegeisterungswelle – Cultural Topographies of Polish Berlin ist ein Projekt von agitPolska – Polnisch-Deutsche Initiative für Kulturkooperation e.V. und der polnischen ARTUM Foundation ewa partum museum. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit.

 

Header Photo: Anna Nowak, Dieter Hartwig 2016