Dr. Thomas Rusche. Zwischen alten Meistern und Meese

Kunstsammler Interview 

Dr. Thomas Rusche. Zwischen alten Meistern und Meese

Dr. Thomas Rusche ruht wie selbstverständlich in seiner Sammlerpersönlichkeit. Der Kunstsammler in vierter Generation verkörpert den Thomas Mann’schen Bürger in Reinkultur. Wie selbstverständlich initiiert er mit seiner Kunstsammlung Ausstellungen, die Kunst aus dem 17. Jahrhundert mit Zeitgenössischer Kunst vereinen. Wir haben einen äußerst vergnüglichen und doch sehr intellektuellen Nachmittag in seiner privaten Sammlerwohnung in Berlin Charlottenburg mit ihm verbringen dürfen.

SØR-Kunstsammlung

Die Sammlung SØR

Wie selbstverständlich initiiert Thomas Rusche mit seiner privaten Kunstsammlung Ausstellungen, die Kunst aus dem 17. Jahrhundert mit Zeitgenössischer Kunst vereinen. Wir haben einen äußerst vergnüglichen und doch sehr intellektuellen Nachmittag in seiner privaten Sammlerwohnung in Berlin Charlottenburg mit ihm verbringen dürfen.

Der Bekleidungsfachmann, Herrenausstatter, praktizierende Katholik und Familienvater versteht sich als kulturhistorischer Archivar genauso wie als Genießer, der von der Kunst „angemacht“ werden will. Als alterslos sportlicher Jaguar-Fahrer, der im Doppelreiher genauso überzeugt wie in hellen Jeans, kann er jeder Honoratioren-Riege blendend vorstehen. Sein Erbe als Geschäftsführer des Herrenausstatters SØR wie als Sammler von niederländischer Kunst des 17. Jahrhunderts führt er so verantwortungsbewusst wie begeistert fort. Den Niederländern stellt er aktuelle Positionen zur Seite. Wenn ein neuer Matthias Weischer in der SØR Rusche Sammlung mit einem alten Herman Saftleven kollidiert, freut er sich an den Funken. Zusammen mit dem holländischen „Reichsbüro für kunsthistorische Dokumentation“ sitzt er seit fünfzehn Jahren an einem Bearbeitungsprojekt zu seiner Niederländersammlung. Der fünfte Band der Projektreihe erscheint in der zweiten Hälfte 2010. In den letzten 2 Jahren hat Dr. Rusche an 16 Museen über 800 seiner Gemälde verliehen. Sammlung SOER

Wir besuchten ihn in seiner Charlottenburger Altbauwohnung zwischen antikem Mobiliar, salutierenden Regenschirmen, auf dem Boden stehenden Landschaften aus dem 17. Jahrhundert und einem von der Wand rutschenden Via Lewandowsky. Zum Auftakt reichte Dr. Rusche uns ein Gläschen Sekt. Schließlich waren es nur noch drei Stunden, bis der Tag sich neigen würde.

Thomas Rusche

THOMAS RUSCHE IM INTERVIEW

Dr. Rusche, als Sammlerpersönlichkeit halten Sie sich eher im Hintergrund. Der Sammler als neuer Star der Kunstszene scheint Sie nicht zu locken?
Der Sammler Harald Falckenberg rief mir mal zu: Du musst unterscheiden zwischen Ausstellungskunst und Sammlungskunst. Du sammelst Sammlungskunst. Kabinettformate. Das wurde im 17. Jahrhundert eingefädelt, weil Adel und Kirche keine Aufträge mehr vergaben. Die Künstler malten kleine Formate für Bürger und Bauern. Heute schaffen die Künstler Ausstellungskunst für große Hallen. Sie rechnen sich aus, wie ihre 2×4-Meter-Bilder in einer riesigen weißen Halle Signale senden und die Besucher in den Bann ziehen. Für diese Ausstellungskunst, die der private Sammler zu Hause gar nicht hängen kann, braucht er die Hallen. Sonst sieht er sein Zeug nie wieder. Mit Kabinettskunst kann man ständig leben. Auch ohne Ausstellungshalle.

Thomas Rusche

Sehen Sie sich als privater Sammler oder empfinden Sie einen öffentlichen Auftrag? Was bedeutet Auftrag? Man könnte sagen, Besitz verpflichtet. Wenn ich mir anschaue, wie viel Geld alleine in die wissenschaftliche Bearbeitung meiner holländischen Sammlung geflossen ist … Das sind hohe sechsstellige Beträge. In dem Sinne empfinde ich es als Auftrag, alte Gemälde zu besitzen und zu erforschen.

Sammlung Soer

Sie sind nicht nur subjektiver Genießer, sondern folgen einem kunsthistorisch-wissenschaftlichen Anspruch? Bei den alten Meistern war für mich immer klar, das Bild ist das eine, das andere ist der kunsthistorische Hintergrund. Ist es wirklich von diesem Künstler? Welche Bedeutung hat es im Oeuvre dieses Künstlers? Und ganz entscheidend: Wie gut ist es erhalten? Es macht einen großen Unterschied, ob ein Altmeistergemälde in – wie die Amerikaner sagen – mint condition ist, als würde es frisch aus dem Atelier kommen oder – und das ist der Normalfall – das Gemälde hat schon zehn Restaurationen in vier Jahrhunderten gesehen, die alle den Dreck mit viel zu scharfen Lösungsmitteln runtergewaschen haben. Dabei fließt dann Blut, nämlich die Originalsubstanz.

Man muss das gut erhaltene Oeuvre eines Künstlers kennen, um zu wissen, was ist der wirkliche Kern. Vom wirklichen Kern heraus kann man alles Mögliche verstehen.

SØR-Kunstsammlung

Sie sammeln nicht nur Alte Meister, sondern auch Zeitgenossen. Versuchen Sie gezielt, junge Künstler zu fördern? Ich freue mich, wenn kritische Kunsthistoriker sagen, dein Blick auf die zeitgenössische Kunst überzeugt uns so sehr, dass wir unsere heiligen musealen Hallen dafür aufmachen. Das ist für mich ein sehr befriedigendes Erlebnis. Nicht weil ich dadurch aktive Definitionsmacht ausüben möchte, sondern weil ich von diesen kritischen Historikern höre: It’s worthwhile. Bei Ausstellungen, die alte und neue Werke aus meiner Sammlung vereinen, kommen doppelt so viele Besucher wie sonst. Scheinbar sind die Besucherströme alter und zeitgenössischer Kunst sehr getrennt – jetzt kommen beide. Ich stand bei einer Eröffnung neben einem älteren Herren am Pissoir, der mir sagte: „Thomas Rusche, ich war noch nie bei einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Ich bin hier nur wegen ihrer alten Meister hergekommen. Die neue Kunst ist ja so spannend!“ Ich selbst habe auch erst durch diese Ausstellung angefangen, die alten und neuen Bilder im Wechselspiel zu begreifen.

Martin Eder

Martin Eder: Massstab, 2009

Wissenschaftler und Kunstliebhaber. Werden Sie auch von einem Sendungsbewusstsein als Staatsbürger angetrieben? Das sind sehr große Begriffe: Sendungsbewusstsein und Staatsbürger. Zunächst einmal empfinde ich große Lust am Leben. Ich glaube, dass Kunst die Lust am Leben vergrößert. Wir alle stecken in einem Hamsterrad der Reproduktion unserer Lebensbedingungen. Wir gehen alle morgens zur Arbeit, gehen abends nach Hause, kochen, was im Kühlschrank ist, hoffen, dass die Partnerschaft halbwegs okay ist … In diesem Hamsterrad richten wir uns ein und merken gar nicht mehr, dass wir darin stecken. Um daraus auszubrechen, ist Kunst ein unglaublich tolles Vademecum. Es zeigt uns, wie wir eine Bresche schlagen für das ganz Andere. Das ganz Andere kann sich auch in der Darstellung des ganz Alltäglichen finden. Gerade im 17. Jahrhundert wird die Darstellung des ganz Alltäglichen – eines Scheuneninterieurs von Herman Saftleven – in den Mittelpunkt gerückt und dort mit so unglaublichem Licht angestrahlt, als käme es aus dem Jenseits. So ließe sich mein Sendungsbewusstsein formulieren:

Augen auf im Museum. raus aus dem Hamsterrad, lernen Sie die Sprache der Bilder zu buchstabieren, lernen Sie zu sehen.

Sammlung Soer

Supply and Demand

Sie mussten nicht erst ins Museum gehen, um mit Kunst in Berührung zu kommen … Bei vielen Bildern war ich schon als Kind beim Kauf dabei. Alleine die Reisen mit meinem Vater im Porsche 911 …

Mein Vater hatte immer einen weißen Porsche 911. Die Fahrt fand ich schon Grund genug, um zu Ausstellungen, Messen oder in Museen mitzufahren.

Es gibt Fotos, auf denen ich als kleiner Junge, 12, 14 Jahre alt, vor dem Weihnachtsbaum knie und mich mit einem Gemälde von Joos de Momper, einer Gebirgslandschaft, befasse. Das ist die eine Schiene. Die andere Schiene: Ich habe nie gegen den elterlichen Geschmack rebelliert. Das wäre typisch gewesen, eine Absetzbewegung mit 16. Mein Vater hat es aber unterbewusst sehr gut verstanden, mir sein Ding schmackhaft zu machen. Porsche 911 als kleiner Junge … Dann hat er mir deutlich gemacht, wie teuer und kostbar das alles ist. Er hat mir die Möglichkeit gegeben, als erste Spielwiese Kupferstiche zu kaufen. Ich habe mit sechs Jahren mein ganzes Taschengeld in alte Druckgrafik investiert. Dann war er klug genug, mir mit 14 den Eindruck zu geben: Ich kaufe kein Bild mehr, ohne dich zu fragen. Das war natürlich ein Ernstnehmen, ein partnerschaftliches Auf-Augenhöhe-Holen, das mir erst im Nachhinein aufgefallen ist. Thomas RuscheSØR-Kunstsammlung

Kunst war für Sie schon als Jugendlicher kein Spielzeug, sondern verantwortungsvolle Profession? Mit etwa 16 hieß es: Fahr’ du mal nach London. Mein Vater, typische Nachkriegsgeneration, fühlte sich auf dem angelsächsischen Parkett nicht wirklich sicher. So war ich vor meiner Volljährigkeit schon alleine auf den Auktionen bei Christie’s und Sotheby’s in New York und sollte da zigtausend Euro für Bilder ausgeben. In der Anfangsphase war ich der Junior, der sich mit dem Vater abstimmte. Wir bekamen die Kataloge und entschieden, diese zehn Bilder kommen in Frage. Aber die entscheidende Frage, wie ist das Bild erhalten, wie gut kommt es rüber, kann man nur vor dem Original beantworten. Das hat mein Vater sehr klug gemacht, um der typischen Gegenbewegung – man setzt sich ab von dem, was an den Eltern dämlich, langweilig und blöde ist – den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er hat so viel Leine gelassen, dass ein Kontra gar nicht durchkam.  Forschen Sie als Sammler lieber in die Tiefe oder reizt Sie das Ausdehnen in die Breite? Erst in die Tiefe bohren und dann in die Breite gehen, und da dann wirkliche Kompetenz in einem begrenzten Feld entwickeln. Das hat mir sehr schnell eingeleuchtet. Wenn man Schnittlauch auf jeder Suppe isst, ein bisschen Ahnung von Buddah-Skulpturen hat, ein bisschen Ahnung von Impressionisten, ein bisschen Ahnung vom englischen Möbel, tut man sich sehr, sehr schwer. Es ist ein Faktum – damit hänge ich die Tücher nicht zu sehr in die Sträucher: So viele Menschen in meinem Alter mit diesem tiefen Wissen der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts gibt es gar nicht.

Es macht im Leben Sinn, einmal einen generellen Überblick zu haben, ein generalistisches Koordinatensystem.

In diesem Sinne ist mein Leben ein Studium Generale des Lebenswerten und des Lebenswichtigen. Das steht für mich über allem, ob es die Philosophie ist, die Bekleidungskultur, die Kunst, die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge. Von da aus macht es Sinn, sich exemplarisch ein Tiefenwissen anzueignen. Wenn ich ein Feld in der Tiefe verstehe, verstehe ich auch Strukturgesetze dieser Welt und damit das gesamte Koordinatensystem. 

Bei Ihrem Studium Generale spielt der Katholizismus eine erhebliche Rolle. Können Sie als gläubiger Mensch die religiöse Emphase vor Heiligenbildern nachempfinden? Ich empfinde vor Heiligenbildern keine religiöse Emphase. Aber ich habe eine ganz persönliche Beziehung zu manchen Heiligen, etwa zu meinem Namenspatron Thomas Morus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Thomas Morus im Himmel lebt und mir sehr wohlgesonnen ist. Ich kann mit diesem heiligen Namenspatron in einen spirituellen Kontakt treten. Immer wieder mache ich die Erfahrung, wenn ich zu dem Heiligen Antonius bete, finde ich sogleich Dinge wieder, die ich lange vergeblich gesucht hatte. Mir hat früher der Jesuitendirektor, der immer Geldsorgen hatte, empfohlen: „Thomas, wenn du Geldsorgen hast, bete zum Heiligen Josef.“ Wenn ich das tue, rappelt bei uns die Kasse. Sie klimpert dann viel heller, als wenn ich tagelang nicht zum Heiligen Josef bete.

Thomas Rusche

Glück, ja Glück. SØR-Kunstsammlung

Kunstsammler sind online schwach vertreten. Wie stehen Sie zu Kunst online? Ganz problematisch bei den alten Meistern: Den Erhaltungszustand kann man nur im Original erkennen. Die Anmache funktioniert nur eins zu eins, wenn man dem Gemälde in natura gegenübertritt. Ein Foto bleibt immer so zweideutig wie die Frau, die man über eine Datingline interessant findet. Beim Kunstkauf kann das Internet eine Vorselektion ermöglichen. Aber selbst wenn ich den Künstler gut kenne, würde ich mich sehr schwer tun, ohne Rückgaberecht einen festen Kauf zu tätigen. Auf einen Rembrandt zu spucken, ob die Signatur echt ist, das ist bei Christie’s und Sotheby’s normal.  Ich habe in der elften Klasse schon am PC Commodore gearbeitet, ich bin total verseucht von der digitalen Welt. Gerade deshalb glaube ich, dass nichts über die unmittelbare Begegnung mit dem Menschen, den man umarmen, küssen, riechen kann, geht.Es zählt letztlich immer das unmittelbare Erleben. Man sollte die Menschen, die man trifft, aus kontinentaleuropäischer, philosophischer Einsicht ernst nehmen: Du bist Fleisch von meinem Fleisch, ich bin Blut von deinem Blut, wir sollten aufmachen, herzlich, gut zueinander sein. SØR-Kunstsammlung Mehr zu Sammlern in Berlin