Christoph Schlingensief in den KW – Retrospektive der Provokationen

 

Christoph Schlingensief in den KW – Retrospektive der Provokationen

Die Kunstwerke (KW) in Berlin widmen Christoph Schlingensief, dem Regisseur, Theatermacher und Aktionskünstler eine grosse Retrospektive. Unbedingt hingehen!

Christoph Schlingensief

Christoph Schlingensief – Künstler, Regisseur, Provokateur

Angela Merkel stelle er sich als gute Ärztin vor, die ihrem Patienten schonungslos die Wahrheit sage. Aber als Krankenschwester würde er sie sich nicht wünschen, so Christoph Schlingensief in einem Interview, einen Monat, bevor Angela Merkel 2005 tatsächlich Kanzlerin wurde, und drei Jahre vor seiner Krebsdiagnose. Schade, dass der Künstler sich heute nicht mehr einmischen kann, mit seinen provokanten, witzigen, manchmal absurden Kommentaren.

Die KUNSTWERKE in Berlin widmen dem 2010 mit 49 Jahren gestorbenen Schlingensief eine Retrospektive.

Bringt Zeit mit, so fünf, sechs Stunden

rät Mitkurator Klaus Biesenbach und wer´s nicht glaubt, wird in der Ausstellung eines Besseren belehrt. Es fängt schon auf der Strasse vor den KW an. Jahrelang war dort Baustelle und man denkt „Oh, schon wieder Container hier!“. Ja, aber ein besonderer. Er erinnert an eine Aktion in Wien, als Schlingensief Flüchtlinge á la Big Brother in einen Container sperrte, per Live-Bildschirm das Geschehen übertrug und die Österreicher über den Verbleib und die folgende Abschiebung der „Asylanten“ abstimmen liess. Bitte liebt Österreich entzweite die Nation und entfachte einen riesigen Theaterdonner in der Medienwelt, dem eigentlichen Theater. Schon vor den KW bleibt man hängen, verfolgt im Container per Kopfhörer die Videos und Fernsehauftritte.

Christoph Schlingensief

In den KW: Biennale, Documenta und jede Menge Aktionen

Drinnen eine überbordende Fülle von Filmen, Performances, Fernseh- und Theaterprojekten. Im Hof ein Nachbau der Kirche der Angst (Biennale 2003). In der grossen, fast vollständig dunklen Haupthalle harren neue Pfahlsitzer, geradezu mystisch angestrahlt, in luftiger Höhe aus. Ein Animatograph lädt ein, sich hineinzubegeben, man bleibe stehen und betrachte und lese alles, Tonfragmente, Bilder, Filmsequenzen.

Mehr als einmal geriet Christoph Schlingensief mit seinen Aktionen in eine Grauzone. Ist das Kunst oder schon eine Straftat, fragte man zum Beispiel bei der Documenta 1997 in Kassel, wo er kurzzeitig verhaftet wurde, wegen eines Schildes mit dem Aufruf „Tötet Helmut Kohl!“ (Aktion Mein Filz, mein Fett, mein Hase). In Aktion 18 knöpft sich Schlingensief den FDP-Politiker Jürgen Möllemann vor, Fernsehaktionen wie Talk 2000 bei RTL, die Spielshow U 3000 in der Berliner U7, das Quiz 3000 („Ordnen Sie diese KZ von Nord nach Süd“), Filme wie Kettensägenmassaker oder 100 Jahre Adolf Hitler, überall benennt Christoph Schlingensief punktgenau die gesellschaftlichen Zustände, gründet folgerichtig sogar Chance 2000, eine eigene „Partei“.  2004 der Parsifal in Bayreuth, dem Olymp der sogenannten Hochkultur, die BZ titelt damals „Aus Parsifal wird Hasifal“. All das und viel mehr zu entdecken auf den drei Stockwerken der KW. Die Filme werden in einem eigenen Kino gezeigt (täglich innerhalb der Öffnungszeiten der KW).

Klaus Biesenbach weist darauf hin, dass vieles in der Kunst von Christoph Schlingensief nicht funktioniert, wenn einem der soziale und sprachliche Kontext fehlt. Umso mutiger, dass die Ausstellung – wenn auch in veränderter Form – ab dem Frühjahr 2014 im New Yorker MoMa PS21 zu sehen sein wird. Bis zum 19. Januar 2014 noch in den Kunstwerken, man sollte unbedingt hingehen und viel, viel Zeit mitbringen!

Ausstellung: Christoph Schlingensief im KW Institute for Contemporary Art 

Auguststrasse 69 / 10117 Berlin
www.kw-berlin.de
Öffnungszeiten: Mi-Mo 12-19 Uhr
Laufzeit bis 19. Januar 2014

Fotos: Sara Dacci (www.saradacci.com)