Kunst Guide 

Kuratorin Ulrike Gerhardt: Must See Ausstellungen der Woche.

Die Kunstwissenschaftlerin Ulrike Gerhardt hat für Euch ihre Kunstwoche zusammengestellt. Wer ihr folgt, der wird einmal quer durch Berlin reisen, von Ausstellungen im Kiosk erfahren, jungen Künstlern begegnen und neben bekannten Galerien die besten Projekträume der Stadt entdecken. Viel Vergnügen!

Credit: Manuel Gorkiewicz, Ohne Titel, Der Grieche, Berlin 2012. Foto: Christoph Hoehne

// WELCHE AUSSTELLUNGEN(EN) SCHAUST DU DIR DIESE WOCHE AN?

Meine letzte Märzwoche 2012 beginnt mit einem Besuch in der Animismus Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt, kuratiert von Anselm Franke. Warum sich das lohnt, kann man im letzten MUST SEE von Anna-Katharina Gebbers sehr schön nachlesen.

DIENSTAG spaziere ich in die Kohlfurter Strasse in die Galerie Barbara Weiss, um mir „Text Textile Texture“ anzuschauen, da mich die Ausgangsidee dieser Gruppenausstellung und viele der teilnehmenden Künstler_innen, wie z.B. Rosemarie Trockel, neugierig machen. Anschließend laufe ich zum Schlesischen Tor, um The Secret Cabinet zu besuchen. In einem Kiosk erfahre ich den Ausstellungsort und interessiere mich am meisten für die Kategorie „das unbekannte, zauber & geheimnisse“, da ich hier die Arbeit “Notation IV“ der Künstlerin Nadja Abt (*1984) verborgen weiß.
Als letzte Mission fahre ich nach Vereinbarung unter mail@grieche.eu in die Emser Strasse nach Neukölln zu Der Grieche, um die Ausstellung „Marten Frerichs & Manuel Gorkiewicz ft. Kerstin Cmelka“ zu sehen.

MITTWOCH starte ich meinen Ausflug im Neuen Berliner Kunstverein, wo ich mir das Video “Time Pieces“ (1973) von Allan Kaprow (*1927, †2006) ansehen werde. Kinetisch angefixt mache ich mich anschließend auf den Weg zum Rosa Luxemburg Platz, um mir die Einzelausstellung des Raqs Media Collective mit dem Titel “Reverse Engineering“ anzuschauen. Ich habe kürzlich das gleichnamige Buch “Unleashing The Collective Phantoms: Essays In Reverse Engineering“ (2008) von Brian Holmes gelesen und frage mich, ob und wie Raqs Media Collective darauf Bezug nehmen. Später fahre ich in die Berlinische Galerie, weil ich die frühen Videoarbeiten von Nina Fischer und Maroan el Sani aus den 1990er Jahren wie „Klub 2000. rom, paris, marzahn“ (1998) in der IBB-Videolounge sehen will.

Credits: Kerstin Cmelka & Nora Schultz, A wave of certain needs, after the butcher, Berlin 2012 (Kerstin Cmelka, The Individualists, Digitalvideo, Monitor, Sockel, 2012; Nora Schultz: Microphone, 2012). Foto: Nick Ash

Für DONNERSTAG steht an erster Stelle ein Ausflug nach Friedrichsfelde zu After the butcher auf dem Plan, um die Ausstellung “A Wave of Certain Needs“ von Kerstin Cmelka (*1974) und Nora Schultz (*1975) an ihrem vorletzten Tag noch zu sehen. Als ich letztes Jahr auf der Art Cologne Nora Schultz’ Jahresgaben für den Kölnischen Kunstverein entdeckte, habe ich beschlossen, mir ihre Arbeiten in Zukunft genauer anzuschauen. Doch statt noch zu Isabella Bortolozzi in die Ausstellung „Carla Accardi, Seth Price und Nora Schultz“ zu gehen, um meine Eindrücke zu vertiefen, verabrede ich mich lieber mit Alida für das Tanzstück “All the way out there” von Mette Ingvartsen und Guillem Mont de Palol im Hebbel am Ufer um 20 Uhr.

Credit: Javier Hinojosa, Arbeit und Freizeit (2) – Fiesta y ensayo (2), Performance, Installation, Arratia, Beer 2012

FREITAG halte ich mir für den mexikanischen Künstler Abraham Cruzvillegas (*1968) bei Arratia, Beer frei, der eine Gruppenausstellung kuratiert. Cruzvillegas’ Begriff der „Autokonstruktion“ ist spannend, denn für ihn passiert Kunst auf der Straße mit Menschen und Gegenständen, die in diesem Moment zugegen sind. Auf die Ausstellung „AutoconßtrukSchön“ mit dem bestechenden Untertitel “A tale on friendship, collaboration, love“ und ihren deutschen sowie mexikanischen Teilnehmer_innen bin ich deshalb sehr neugierig.

UFO presents: Radiate Vicinity – Installationsansicht (Malte Urbschat, „Stramoniumbaum“ 2009; Kanta Kimura „Farbbeben I – IX“ 2012; Stefan Alber, „Modell III“ 2011). Foto: Kanta Kimura

SAMSTAG mache ich mich auf den Weg nach Kreuzberg zu UFO presents: “Radiate Vicinity“, um mir in der Gruppenausstellung unter anderem Malte Urbschats (*1972) „Stramoniumbaum“ (2009) anzuschauen und einen kleinen Rausch zu erleben. Danach gehe ich auf Empfehlung einer Bekannten in die Ausstellung “Magic Moments of homeopathy vol 2 (the drama of creative man)“ von Florian Meisenberg in der Galerie Wentrup. Um 17 Uhr beginnt auf dem Senefelderplatz die Performance “Doggy Digger“ von Ayaka Okutsu“ (*1982), die ich jeden Samstag immer wieder neu genieße, wenn ich in unserem Projektraum NOTE ON in der aktuellen Ausstellung “The Hollow Earth Show“ Aufsicht mache.

Am SONNTAG verwirkliche ich einen lang gehegten Plan – ich fahre nach Beeskow, um das Kunstarchiv Beeskow zu besuchen. Beeskow liegt 80 km südöstlich von Berlin im Landkreis Oder-Spree. Hier befindet sich eine Sammlung von über 23.000 Kunstwerken und Objekten, die zu DDR Zeiten entstanden sind. Aktuell läuft die Ausstellung „Schichtwechsel. Kunst aus 40 Jahren DDR“ in der Burg Beeskow. Anschließend möchte ich an der Spree spazieren gehen und auf einer Decke im Grünen liegen.

Credit: Ayaka Okutsu, Doggy Digger, Performance, NOTE ON, Berlin 2012. Foto: René Greffin

// WAS WILLST DU AUßERDEM IN DIESER WOCHE NICHT VERPASSEN?

Für Donnerstag, den 29.03.2012, wurde mir im Ballhaus Ost eine Musikveranstaltung ans Herz gelegt: die Record Release Party von “It´s a Musical” mit Justine Elektra, Jolly Goods, Masha Qrella und Noel.

// DER WICHTIGSTE KÜNSTLER AKTUELL?

Aktuell ist das für mich Charlotte Salomon (*1917, †1943) und Franz Kafka (*1883, †1924).

Trevor LloydCredits: Trevor Lloyd, Untitled Landscapes, Installationsansicht, Galerie Meyer Riegger Berlin, 2011

// GEHEIMTIP – AUS WELCHEN NEWCOMER WIRD WAS IN NÄCHSTER ZEIT?

Alida Müschen (*1984) hat bei Josephine Pryde und Jutta Koether studiert und ist eine Künstlerin, deren Arbeiten mich seit unserer ersten Begegnung im Frühjahr 2009 verstört und gereizt haben. Bei der Ausstellung “When Transcendence Becomes Form“ in der St. Remigius Kirche in Bonn zauderte und redete sie bis zur allerletzten Minute, um dann im Säulengang des ehemaligen Klosters eine präzise Installation ihrer performativen Arbeit “encore/ en corps“ (2009) zu arrangieren. Mit der Zeit begann ich zu begreifen, dass Alida bei jeder Ausstellung von Neuem anfängt, ihre Rolle als Künstlerin, Theoriekonsumentin und Kulturproduzentin aufs Gründlichste zu hinterfragen.

Credit: Alida Müschen, Release, Performance mit Nadja Abt, Johannes Nowak, Moritz Herle, Adrianna Liedtke, Alida Müschen und Ayca Nina Zuch, als Teil von „I AM On a Program Now“, Hamburg, 2012

Die Umsetzung ihrer konzeptuellen Lectures, Texte und Performances entsteht erst kurz vor ihrer öffentlichen Präsentation, da sie eine vorübergehende Manifestation fortlaufender Gespräche, Auseinandersetzungen und Positionierungen sind, die Alida von allen Beteiligten des jeweiligen Projektes einfordert. Ob der humorvolle Text „Eine Cola, bitte“ (2010) in dem Katalog des MoAI, unsere Gemeinschaftsarbeit „Gespräch am Nachmittag“ (2010) oder die scheinbar naiven Zeichnungen über ihre vor Langeweile überbordenden Freizeitaktivitäten und Körperübungen aus ihrer Diplomausstellung “I Am On a Program Now“ (2012) – Alida Müschen wird die Frage, was es bedeutet, heute als Künstlerin in einer Gruppe oder alleine zu arbeiten, auch weiterhin auf höchstem Niveau beantworten.

Trevor LloydCredit: Trevor Lloyd, Stay, stay, stay, Hundesalon Exquisit, Berlin Kreuzberg Biennale, 2010

Meine zweite Empfehlung ist Trevor Lloyd (*1983) aus Kalifornien, der seit 2008 in Berlin lebt. Seine seriell angelegten Collagen, Zeichnungen und Installationen erzählen davon, wie sehr die tägliche Routine den Blick auf die Dinge verändert. In seiner Einzelausstellung bei The Appartement (2010) hat er nach monatelangem Be- und Übermalen von Abbildungen der Erde für seine Serie “Untitled Landscapes“ (2010) die Fenster der Ausstellungsräume mit schwarzem Tape verklebt und kleine Löcher freigelassen, durch die am Abend die Lichter der Stadt wie Sterne funkelten. Eine meiner Lieblingsarbeiten ist sein Künstlerbuch “This isn’t fun but it builds character“ (2009). Diesen asketischen Spruch hat Lloyd in seiner Heimatstadt Etna verinnerlicht und wendet ihn seither konsequent auf seine künstlerische Praxis an, indem er während eines Kopfstands ein Bild seiner Mutter zeichnet (“Portrait of my mother drawn from memory with my eyes closed, using my left hand, standing on my head“ (2009)) oder aus dutzenden Blättern gepressten Pferdekots einen Stapel formt, in dessen Layer verschiedene Rechtecke eingebleicht sind (“Building Blocks (Sol LeWitt)“ (2010)). Nicht nur der Unternehmerin Christel hat seine Intervention “Stay, stay, stay“ für die Kreuzberg Biennale (2010) im Hundesalon Exquisit gefallen, sondern auch der Kundschaft, der plötzlich auffiel, dass alle Rassehunde auf den Abbildungen in Christels Laden auf einmal brav „Sitz machen“. Diese kluge Drehung zwischen High und Low Culture ist es, die Trevors Arbeiten auch in Zukunft auszeichnen wird.

// DIE INTERESSANTESTEN GALERIEN IN BERLIN

Projekträume und Initiativen wie Archive Books, Galerie Europa, Haben und Brauchen, Kleine Humboldt Galerie, ICI Berlin, Salon Populaire, Savvy Contemporary, Souterrain, Studio, Uqbar, Substitut, Kunst und Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz e.V., General Public oder Das Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZKU) empfinde ich persönlich für die Berliner Kunstszene wichtiger als Galerien.

Credit: Friederike Hamann, Archiv Szenen#2, NOTE ON, Berlin 2012. Foto: René Greffin

ÜBER ULRIKE GERHARDT

Ulrike Gerhardt wurde 1984 in Brandenburg an der Havel geboren und lebt zurzeit in Berlin und Kassel. Die Kunstwissenschaftlerin und Autorin kuratierte 2008 ihre erste Gruppenausstellung bei Wiensowski & Harbord, 2009 war sie kuratorische Assistentin von „What, How & For Whom“ auf der Istanbul Biennale. 2009-2010 gründete sie gemeinsam mit Paul Sochacki das „Museum of Art & Ideas“ (MoAI) in der Galerie der Hochschule für bildende Künste, Hamburg. Aktuell betreibt sie gemeinsam mit Susanne Husse und Jana Sotzko den Projektraum NOTE ON in der Kollwitzstrasse 10 in Berlin und arbeitet als Praktikantin für die dOCUMENTA13. Ihre nächsten Projekte umfassen die Residency-Ausstellung “Post-Studio Tales“ vom 13.-30. April 2012 in der District Kunst- und Kulturförderung in Berlin, “Public Face III“, ein temporäres Kunst-am-Bau Projekt mit Julius von Bismarck (Einweihung am 02. Juni 2012, ebenda), und die internationale Konferenz “Contemporary Past: tracking a postcard“ in der Nida Art Colony, eine Veranstaltung der Vilnius Academy of Arts in Litauen vom 11-25. Juni 2012.

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