Was macht Duato und Kylián im Staatsballett Berlin sehenswert?
Drei Stücke, zwei exzellente Choreographien, außerordentlich dynamische Tänzerinnen und Tänzer. Es ist der existentielle Hinauswurf des Menschen in die Dunkelheit der Nacht. „Static Time“ nennt Nacho Duato seine neueste Choreographie, die er eigens für das Berliner Staatsballett kreierte. Aus dem Schwarz formiert sich ein gusseisernes Kreuz, das sich durch raffinierte Drehung zum Fenster verwandelt (Bühne: Jaffar Chalabi). Bleiern schwebt es in der Luft. Darunter formieren sich drei Tänzerinnen und fünf Tänzer in wechselnden Konstellationen zu Liebespaaren. Hinwendung und Abschied multiplizieren sich in wirbelnden Drehungen, raffinierten Verwringungen, harter Abwehr, expressiv mit der Hand am Kopf des Partners im entsprechenden Wechsel von klassischer Musik Mozarts, Rachmaninows, Schuberts und den harten Beats elektronischer Akustik Alcaldes und Caballeros. Die engen Trikots schimmern metallisch (Kostüme Angelina Atlagic). Nur kurz durchflammt rostige Wärme der Dämmerung die Bühne (Licht: Brad Fields). Der Nähe folgt die Vereinsamung in der Nacht. Das Fenster fügt sich wieder zum monochromen Schwarz, das die Tänzer einzeln nach hinten abgehend regelrecht verschluckt.
Jirí Kylián hellt die Bühne durch Lichtstreifen und Spiegelungen auf. Seine Choreographie „Click-Pause-Silence“ aus dem Jahr 2000 (Netherlands Dans Theater) präsentiert sich als abstrakte Tonstudie, die sich gut in den konzeptionellen Rahmen einfügt. Zusammen mit dem Komponisten Dirk Haubrich folgt das Stück tonal und choreographisch Bachs Präludium Nr. 24 aus dem „Wohltemperierten Klavier“. Drei Tänzer und eine Frau visualisieren die klassischen Harmonien und elektronischen Diskrepanzen. In traumatisch langsamen Bewegungen und Standbildern enthüllt sich die Surrealität menschlicher Beziehungen, die Position des Einzelnen in der Gruppe, die Relation von Vertrauen und Geborgenheit. Nein die Tänzerin fällt nicht zu Boden, wenn ihr der männliche Halt entflieht, ein anderer hält sie fest. Der hektische Zeitgeist elektronischer Schrillheit, in krakeliger Zappeligkeit, kampfmäßiger Aggression vertanzt, beruhigt sich in fließenden Pas des deux. Es gibt eben ganz verschiedene Modelle miteinander umzugehen. Aber auch hier tritt die Tänzerin am Schluss alleine ab. Ein Video zeigt sie im Gespräch mit dem Choreographen. Es hätte auch alles anders sein können, kann man mutmaßen.
Richtige Begeisterung kommt erst bei „White Darkness“ auf.
2001 choreographierte Nacho Duato dieses Ballett für das Madrider Nationalballett als Requiem für seine Schwester, die an der Drogensucht starb, nach Karl Jenkins „Streichquartett Nr. 2“ und „Adiemus Variationen“. Zusammen mit Bühnenbildner Jaffa Chalabi beweist Nacho Duato hier einmal mehr sein außerordentliches Gespür für erzählende Tanzästhetik. Koks scheint von der Bühne aufzuwirbeln, zieht die Tänzerin in seinen Bann, verführt oder abgehalten von ihrem Galan, das oszilliert ständig hin und her. Drei weitere Tanzpaare multiplizieren die Drogeneuphorie in tänzerischer Ekstase. Das Bühnenbild, kryptisch verschlungener Stoff, wird hochgezogen, entfaltet seine halluzinogene Wirkung. Immer wilder werden die Pas-des-deux. Im goldenen Lichtkegel rieselt Bühnenkoks von oben, mitten drin im Bannkreis in sich zusammenkauernd, tot die Tänzerin. Das ist großartig, allerdings angesichts der Problematik fast überästhetisiert.
Weitere Termine:
21. Januar, 26. März, 01. und 23. Juni 2016
Staatsballett Berlin /
Text: Michaela Schabel / Fotos: Fernando Marcos