Steve McCurry

Nadine Barth: Bilder, die mir begegneten 

Steve McCurry: Afghanisches Mädchen, Peshawar, Pakistan, 1984

Steve McCurrys Bild des Mädchens mit den grünen Augen ist eine Ikone – und der Mittelpunkt der großen Retrospektive mit Steve McCurrys Arbeiten aus Asien in Wolfsburg.

Steve McCurrySteve McCurry: Afghanisches Mädchen. Peshawar, Pakistan 1984 ©Steve McCurry. Magnum Photos

Steve McCurry: Augen, die ins Mark trafen

Diese Augen. Immer wieder diese Augen. Sie können einen verfolgen. Aufrütteln. Stillhalten lassen. Freeze. Eingefroren für die Ewigkeit. Augen, die eine Geschichte erzählen, wie man sie immer wieder erzählt bekommt und die doch immer wieder neu ist. Eine Geschichte von Gewalt, von Vertreibung, von Angst, aber auch von einem Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Von Neugier. Von einer Hoffnung, dass das Morgen besser sein möge als das Heute.

Ich weiß nicht, wann ich diese Augen zum ersten Mal gesehen habe. Sie sind mir vertraut, sie begleiten mich in meinem Unterbewusstsein. In dem Jahr, als das Foto auf dem Cover der National Geographic erschien, 1985, war ich in New York. Ich arbeitete als Model und schaute sicher nach ganz anderen Bildern an den Kiosken in SoHo und Midtown Manhattan. Dabei erinnert die Komposition des Bildes, die mittige Anordnung, das umgelegte dunkelrote Tuch, der Einsatz der Komplementärfarbe Grün einerseits an Madonnenbildnisse der Renaissance (einige nennen das Motiv „the Afghan Mona Lisa“), andererseits aber mit den Lichtblitzen in den Pupillen durchaus auch an klassische Studio-Aufnahmen aus der Mode. Arrangiert ist es aber keineswegs. Das wäre gegen die Ehre eines Steve McCurry.

Steve McCurry. National Geographic. June 1985Steve McCurry. National Geographic. June 1985

Steve McCurry: Als Mudshaheddin verkleidet über die Grenze

1979 reiste der Fotograf Steve McCurry erst durch Indien, dann höher nach Pakistan und kam durch Zufall in das Grenzgebiet zu Afghanistan. Zu der Zeit begann die Invasion sowjetischer Truppen und ein verzweifelter Krieg, der zehn Jahre lang andauern sollte. Steve McCurry war der erste Fotograf, dem es gelang, Bilder aus den Anfangstagen des Konfliktes zu zeigen. Als Mudshaheddin verkleidet gelangte er über die Grenze, nähte seine Filmrollen in den Stoff ein, schickte sie später zu seiner Schwester nach Amerika. 1980 erschienen die ersten Aufnahmen in der New York Times, im Time Magazine und in Geo. Einige Jahre später dokumentierte er das Elend der afghanischen Flüchtlingslager auf pakistanischem Boden. Im Dezember 1984, im Schulzelt des Camps Nasir Bagh, entstand das berühmte Foto des afghanischen Mädchens. Steve McCurry wusste ihren Namen nicht, das Bild nannte er „Afghan Girl“. Sechs Monate später erschien es auf dem Cover der National Geographic und wurde zu einer weltweiten Ikone.

Das Afghanische Mädchen: Nach 17 Jahren fand Steve McCurry sie wieder

Schon in den 1990ern versuchte Steve McCurry, die Identität des Mädchens zu entschlüsseln. Vergeblich. 2002 reiste er mit einem Kamerateam im Auftrag von National Geographic erneut nach Afghanistan, um die mittlerweile fast Dreißigjährige zu finden. Wochenlang recherchierte das Team, zeigte das Foto des Mädchens in Cafés, auf der Straße, bei Institutionen und in Moscheen. Nichts. Steve McCurry fuhr enttäuscht ab, doch Tage später erkannte ein ehemaliger Flüchtling das Mädchen und versprach, ein Treffen zu arrangieren – Stunden entfernt, irgendwo auf dem Land. Nur eine Frau durfte das Haus betreten, die Produzentin des Films ging hinein. Um ganz sicher zu sein, dass es um die Gesuchte handelt, machte sie ein Foto der Augen. Dies wurde mittels Iris-Scanner in den USA überprüft. Bingo – sie war es! Ihr Name ist Sharbat Gula, sie ist verheiratet und hat drei Töchter. 1992 war sie in ihr Heimatland zurückgekehrt. Steve McCurry reiste hoffnungsfroh zu dem Ort. Die Frage war: Würde die gläubige Muslimin einwilligen, ihre Burka fallen und sich fotografieren zu lassen? Sie sagte ja.

The fact that she lifted up her burka and revealed her face to the world essentially is a sort of a modern miracle.

Peer Kugler: National Geographic in East Harlem. New York 2001 ©Peer Kugler, PicturetankPeer Kugler: National Geographic in East Harlem. New York 2001 ©Peer Kugler, Picturetank

Steve McCurry Retrospektive im Kunstmuseum Wolfsburg: „Im Fluss der Zeit“

Steve McCurry war glücklich. Das Bild hatte endlich einen Namen bekommen. Ihre Augen leuchten noch in dem gleichen Grün, auch wenn die Härte ihrer Existenz Spuren in dem schönen Gesicht hinterlassen haben. National Geographic richtete übrigens einen Fonds ein, „den Afghan Girl Fond“, der Spenden für die Erziehung von afghanischen Mädchen (und seit 2008 als „Afghan Children Fond“ auch Jungen) sammelt.

In der großen Retrospektive mit Steve McCurrys Arbeiten im Kunstmuseum Wolfsburg ist das „Afghanische Mädchen“ eines der Hauptwerke – neben den zahlreichen Reportagefotos aus Indien, Kaschmir, Bangladesch, Burma, Kuwait, China, Tibet und Nepal, die der Amerikaner in den letzten dreißig Jahren gemacht hat. Steve McCurry, geboren 1950, ist seit 1986 Mitglieder der berühmten Agentur Magnum. Für ihn, den die Farben Asiens, wie er sagt, „gelehrt haben, in Licht zu sehen und zu schreiben“, geht es darum, zeitlose Dokumente zu schaffen, den „Fluss der Zeit“ darzustellen. „Im Fluss der Zeit“ heißt auch die Ausstellung in Wolfsburg.

Sein Bild des afghanischen Mädchens hat sich indes verselbständigt. Tausendfach gedruckt (u.a. auf zahlreichen Amnesty International Broschüren und Postern), auf Mauern gemalt, als Collage verfremdet, nachgestellt, zitiert. In einem meiner Projekte über die größten Städte der Welt, „The Megapolis Tour“, tauchen die Augen auch auf, in der Serie über „New York“. Das Foto ist von Peer Kugler, es zeigt einen Toilettenraum in Harlem, auf einzelnen Fotos sind diese Augen zu sehen, die man sofort erkennt. Peer Kugler hat es Ende 2001 aufgenommen, kurz nach dem erneuten Beginn des Konfliktes in Afghanistan. Der Titel des Bildes ist: „National Geographic in East Harlem“.

Steve McCurrySteve McCurry, 2002 ©Ahmet Sel

Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg 

Steve McCurry – Im Fluss der Zeit. Fotografien aus Asien 1980 – 2011
Laufzeit bis 16. Juni 2013
www.kunstmuseum-wolfsburg.de