Ein Blick hinter die Kulissen des Künstlerhaus Bethanien

 

Ein Blick hinter die Kulissen des Künstlerhaus Bethanien

Interview mit dem künstlerischen Leiter des Künstlerhaus Bethanien Christoph Tannert über den Genuss und die Herausforderungen den internationalsten Kunstort in Berlin zu führen.

Viele kennen das Künstlerhaus Bethanien durch die von Christoph Tannert kuratierten Ausstellungen in den Räumen mit den hohen Decken an der Kottbusser Strasse in Kreuzberg. Dass sich dahinter, sowohl im architektonischen als auch konzeptuellen Sinne eine ganze Atelierlandschaft verbirgt ist eventuell nicht allen bekannt.

Innerhalb des Internationalen Atelierprogramms des Künstlerhaus Bethanien arbeiten aktuell 25 NachwuchskünstlerInnen aus der ganzen Welt in schönen, hellen Ateliers an Kunstprojekten. Das Künstlerhaus Bethanien unterstützt sie dabei mit einem monatlichen finanziellen Zuschuss sowie einer Materialkostenpauschale, übernimmt die Atelierkosten, vernetzt die Stipendiaten innerhalb der Berliner Kunstszene und präsentiert ihre Abschlussprojekte in den Ausstellungsräumen des Künstlerhauses. Ein erfolgreiches Karrieresprungbrett für jeden der jungen Künstler.

Kurator Christoph Tannert und sein Team geben nicht nur viel Leidenschaft, sondern auch gehörig viel Zeit in das prall gefüllte Kunstprogramm des Künstlerhaus Bethanien hinein: Jeden Monat eröffnet eine neue Ausstellung, die entweder Arbeiten ausgewählter Stipendiaten oder die von Projektpartnern präsentiert.

Kuenstlerhaus-Bethanien-AusstellungenKuenstlerhaus-Bethanien-AusstellungsraumFotos: Georg Schroeder für Künstlerhaus Bethanien

Unser aktueller Ausstellungstip ist die Eröffnung der Ausstellung „Ende vom Lied“ am 14. Juli 2016, die auf die Ausbürgerung und den Mut des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR im Herbst 1976 zurück blickt. Gezeigt werden Konzertdokumentationen, Bilder und Skulpturen von KünstlerInnen, die in der DDR gelebt haben oder von heute aus auf sie zurückblicken und sich für die Frage interessieren, wie Kunst Zeichen setzen kann gegen Systeme der Angst.

Thomas KilpperThomas Kilpper, Nicht das Ende vom Lied, 2016; Linolschnitt zweifarbig, Unikat, gedruckt auf Römerturm Reinhadern, 300g; Courtesy Galerie Nagel-Draxler, Berlin und Köln; Repro: Studio Kilpper, Berlin

Das Künstlerhaus Bethanien versteht sich als Ort, der zeitgenössische bildende Kunst nicht nur fördert sondern auch kritisch reflektiert. Kuratoren und Sammler können sich in persönlichen Atelierbesuchen näher mit den Künstlern und deren Arbeiten auseinandersetzen. Mehrmals im Jahr finden außerdem die „Open Studios“ statt. Daneben hat das Künstlerhaus Bethanien seit seiner Gründung über 300 Bücher, Kataloge sowie mehrere Ausgaben des hauseigenen „Be Magazins“, einer jährlich erscheinenden Fachzeitschrift für Kunst und Kritik publiziert.

Kuenstlerhaus-Bethanien-Artist-StudiosFoto: Georg Schroeder für Künstlerhaus Bethanien

Wir haben den künstlerischen Leiter des Hauses Christoph Tannert getroffen und ihn gefragt wie er mit den Herausforderungen eines so dicht gefüllten Programms umgeht, worauf er bei der Auswahl der Stipendiaten achtet, ob Deutschland mehr Kunstkritiker braucht und womit er sich gerade außerhalb des Künstlerhaus Bethanien beschäftigt.

Christoph Tannert im ARTberlin Interview

Lieber Herr Tannert, Was beschäftigt Sie gerade?

Ich frage mich aus gegebenem Anlass wieviel Betroffenheitsempfinden die Kunst eigentlich verträgt und ob es nicht besser wäre, Künstler-Sein und bürgerliches Engagement strikt voneinander zu trennen.

Das Künstlerhaus Bethanien kümmert sich um das Internationale Atelierproramm, die Ausstellungen dazu, Sonderprojekte und verschiedene Publikationen – Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Typisch ist, dass es immer an Zeit fehlt und dass, von außen gesehen, oft der Eindruck entsteht, die von uns kultivierte Idee des dialogischen Arbeitens mit den KünstlerInnen sei nur naive Romantik, verlorene Liebesmüh, weil wir eben ein nicht-kommerzielles Institut sind. Dabei ist gerade das Beste genau das, was alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses vermögen und ständig offerieren, auch über den 8-Stunden-Tag hinaus.

Wenn Sie sich auf eine Sache beschränken müssten – was ist Ihnen das Wichtigste bei der Auswahl der Stipendiaten für das internationale Atelierproramm?

Mich interessiert, eine Balance hinzubekommen zwischen relevanten künstlerischen Positionen, die wir aus den verschiedenen Weltregionen einladen, und ihrer möglichen Relevanz in und für Berlin. Denn wir arbeiten daran, dass unsere GastkünstlerInnen sich in Berlin vernetzen, also dass sie von den Szenen angenommen werden, dass sich Austausch animieren lässt. Wenn ich mir unsere Besucherstatistik anschaue, scheint das zu klappen. Bei unseren Eröffnungen kommen im Durchschnitt 350 Personen. Parallel dazu läuft die Phase der individuellen Einzelgespräche, Studio Visits und Reviewings, die wir selbst durchführen, zu denen wir aber auch Kuratoren, Galeristen, Autoren, Wissenschaftler und Sammler einladen.

Studios-Binschtok-WiltonFoto: Georg Schroeder für Künstlerhaus Bethanien

Was ist die größte Herausforderung wenn man ein Artist-In-Residence Programm erfolgreich machen möchte?

Ein attraktives Angebot für die Künstler an spezifischem Ort vorzuhalten (räumlich, finanziell und kommunikativ), dazu gehört, Unterstützung zu geben per Gespräch, in konzeptionellen, organisatorischen und technischen Fragen. Die Künstler wollen sich wohlfühlen und ihre Karriere entwickeln. Dafür lassen wir uns individuelle Lösungen einfallen.

Verraten Sie uns ein paar Highlights, die das Haus 2016 im Programm haben wird?

Herausragend finde ich, wie sich international gerade der Blick auf Skulptur wandelt, dass Künstler in allen Teilen der Welt interessiert, was politische Kunst sein kann und wie man Anlässe schafft, die den Begriff von „engagierter Kunst“ generell zu überdenken anregen. Oder wie gemalt wird ohne kokett-marktgängig zu sein. Gute Beispiele liefern etwa Chih-Chien Wang (Kanada), Sveinn Fannar Jóhannsson (Norwegen), Tatiana Macedo (Portugal), Lewis & Taggart (Kanada), Riccardo Benassi (Italien), Ann Oren (Israel), Salwa Aleryani (Yemen), Polys Peslikas (Zypern), Técha Noble (Australien), Juei Hsien Hsu (Taiwan), Dan Stockholm (Dänemark), Aline Alagem (Israel), Chen Sai Hua Kuan (Singapur), Mai Nguyen Thi Thanh (Vietnam), Kristina Müntzing (Schweden) und Jennifer Ling Datchuk (USA). Viele der Genannten kennt man bisher kaum in Deutschland. Wir möchten das ändern.

Außerdem haben wir, wie seit Jahren schon, den Falkenrot Preis vergeben – mit einer sagenhaften Ausstellung von Gregor Hildebrandt.

Und wir erinnern mit einer gepfefferten Themenausstellung an die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR (1976).

Harald HauswaldHarald Hauswald, Aus der Serie Alltag, 1978-1989 U-Bahnlinie A, Ost-Berlin, 1986, DDR Schwarz-Weiß-Fotografie; Courtesy the artist/OSTKREUZ

Sie sind in unseren Augen eine rare Kombination aus Kunstliebender, Kunstkritiker, Kurator und Geschäftsführer. Welche Projekte außerhalb des Künstlerhauses Bethanien treiben Sie gerade voran?

Unser Ausstellungsprojekt „Passion. Fan-Verhalten und Kunst“ ist auf Tour in Budapest (Ludwig Museum) und Kiel (Stadtgalerie). Außerdem bereite ich zusammen mit Eugen Blume (Hamburger Bahnhof) die Ausstellung „Gegenstimmen. Kunst in der DDR 1976-1989“ für den Martin-Gropius-Bau, Berlin vor.

Braucht Deutschland mehr Kunstkritiker? Und woran liegt es dass wir keinen „Jerry Saltz“ haben?

Keine Ahnung, ob es noch Kunstkritik im klassischen Sinn gibt. Ich denke, eher nicht. Aber vielleicht wäre es sowieso besser, wenn es mehr Schärfe im Ton und deutlichere Institutionskritik gäbe, wenn nicht das Feuilleton politische Arbeit simulieren und nur die Herstellungsformen korrekter Gesinnung beklatschen würde.

Was lieben Sie an Berlins Kunstszene?

Dass sie so unberechenbar ist und dass es weniger Arroganz und weniger kommerziellen Druck als anderswo in der Welt gibt.

In welche Richtung wird sich der Kunstmarkt in Berlin in Ihren Augen entwickeln?

Niemand wird das vorhersagen können. Alle Versuche, einen Kunstmarkt zu etablieren, haben bisher nur die öffentliche Hand belastet. Berlin hat ein paar hervorragende und stabil arbeitende Galerien, ist aber als Kunstmarktplattform nicht geschäftsfähig. Es fehlen die trendsetzenden Akzente und die Sammler. Das ist kommerziell schlecht, hat aber für den Meeting Place Berlin auch sein Gutes.

Ausstellungstip: „Ende vom Lied“

Eröffnung: 14. Juli, 19 Uhr
Laufzeit: 15. Juli bis 18. September 2016
Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Strasse 10, 10999 Berlin

Portraitfoto ganz oben: Kathrin Schneebleich für ARTberlin