Soloshow | Eirikur Mortagne

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Soloshow | Eirikur Mortagne

Berlin und seine Künstler. Wie Klebstoff zwischen Szene, Eitelkeiten, Sehnsucht, Exzess und ein bisschen Berliner Strasse fungieren die Momentaufnahmen von Eirikur Mortagne, der nun am 15. September seine erste Soloshow im ASUC eröffnet. Ein Gespräch über die Liebe, Porno, Äpfel und Adler und ein bisschen Drama. Und natürlich Mama.

Eirikur du hast mit deiner Kamera in 2 Jahren über 3000 Bilder aufgenommen. Wo ziehst du die Grenze welche passen und welche nicht? Reihst du Erinnerungen und Momente aneinander oder ist es die Ästhetik die ausschlaggebend ist?

Die Auswahl meiner Bilder verfolgt eine klare Dramaturgie, durch bestimmte Stilelemente bekomme ich den Betrachter dazu, sich gewissen Fragen zu stellen und so lenke ich sozusagen eine Dramaturgie in die Auswahl ein. Der Prozess hat für mich auch fast etwas Cinematographisches. Du betrittst den Raum, du siehst ein Bild in einem Fluchtpunkt des Raumes, das dann mit dem Zweiten am besten von der Komposition her funktioniert und gegebenenfalls einen Dialog zwischen den beiden herstellt. Ich visualisiere den Raum, ich nehme alles mit, die Lichtgebung usw. Alles wird mit eingespeist in die Kuration. Eigens für die Ausstellung habe ich ein Miniaturmodell der Räumlichkeiten angefertigt um auch ganz genau zu arbeiten. Ich habe in meinem Archiv etwas mehr als 3000 Bilder. Von 500 habe ich für meine ursprüngliche Idee – ich wollte eine Art Diary gestalten – Arbeitsprints gedruckt, die ich ausgelegt habe. Für das Diary habe ich daraus nochmal 88 ausgewählt. Ich bin ‘88 geboren, das fand ich ganz witzig. Bei dieser Arbeit sind mir interessante Regelmäßigkeiten aufgefallen. Regelmäßigkeiten die zu dem Projekt `Mama ich liebe dich’ geführt haben. Dadurch sind die Arbeiten auch sehr persönlich und direkt aus meinem Alltag gegriffen.

Ich habe gehört das Brigitte Maria Mayer, die Mutter von Anna Müller mit dabei war, als du die finale Entscheidung getroffen hast welche Bilder gehängt werden und wo. Wie ist das entstanden das sie Teil dieses Prozesses wurde?

Brigitte habe ich erst vor Kurzem kennengelernt. Ich mag sie sehr gern. Sie blickt ja auf ein umfangreiches Lebenswerk und hat sehr viel Ahnung und ich hatte sofort das Gefühl, sie versteht das, was ich da mache. Anna kenne ich quasi schon aus Schulzeiten. Anna hat Brigitte dann einfach mit in die Galerie mitgenommen, das hat mich sehr gefreut. Brigitte hatte gute Einwände, ich kann ihr in dem was sie sagt vertrauen, weil sie schon so viel Erfahrung hat. Viele andere Personen haben mir bei meinen Vorbereitungen auch sehr geholfen. So zum Beispiel Marc Schuhmann, mein Agent von superagent.ch und meine alten Dozenten vom Lette-Verein. Ich bin immer im regen Austausch mit Künstlern, Fotografen und Gleichgesinnten deren Arbeit ich sehr schätze. Was nicht heißen mag, dass ich am Ende nicht doch alles im Alleingang mache und am Ende genau das Gegenteil davon mache was mir die Leute ans Herz legen bzw. von mir fordern.

Ich bewahre immer mein eigenen Kopf.

Einer meiner ersten Eindrücke war das deine Bilder eine Art Essenz darstellen.
Wie der Rahm der nur bei roher Milch entstehen kann. Sterilisierte Milch hat keinen Rahm. Sterile Städte haben eine andere Ästhetik.

Ich habe das Gefühl ich war nie aus Berlin raus, ich war immer schon in Berlin. Ich mag die Stadt sehr! Vielleicht ist es auch so weil ich bis jetzt noch nie etwas anderes erleben konnte. In der Ausstellung gibt es eigentlich keine Bilder welche nicht in Berlin entstanden sind! Ich denke aber man könnte diese Geschichten, die meine Bilder erzählen auch auf andere Städte transkribieren. Wenn ich jetzt 3 Jahre in Paris unterwegs gewesen wäre, hätte mir die Stadt sicherlich ähnliche Momente offenbart. Oder in Nordkorea- Könnte man dort etwas ähnliches machen? Ich glaube auf der einen oder anderen Weise vielleicht schon. Ich würde ja nach wie vor meine Sicht der Dinge in den Motiven suchen. Das würde mich schon auch reizen das auszuprobieren.

Diese immer noch rohe, oft ungesunde Berlin mit seinem merwürdigen Glamour läuft wie ein roter Faden durch deine Bilder. Gleichzeitig hat es etwas zeitloses und sehr hedonistisches was schon immer Teil Berlins war. Wirklich viel Liebe habe ich nicht gefunden?

Es geht bei „Mama Ich Liebe Dich“ nicht immer nur um die Emotion Liebe. Es geht um alle Arten von Gefühlen. Nicht jeder hat ja beispielsweise seine Mutter kennengelernt. Das Thema `Mama’ in Bezug zu `Liebe’ löst zwangläufig in jedem von uns eine Bandbreite an Gefühlen und Emotionen aus. Positive wie negative Erfahrungen. Die Beziehung zur Mutter wurde ja schon von Courbet (L’origine du monde – 1866) thematisiert. Die Mutter – ist in Sigmund Freuds Wissenschaftlichen Arbeiten immer wieder zu finden. „Mama“ und „Ich Liebe Dich“, das wirft dann schon jede Menge unterschiedliche Emotionen auf. Die Beziehung zur Mutter – ob es sie gibt oder nicht – ist auch auschlaggebend für vieles in unserem Leben – Sie prägt unsere Kindheit und damit unser späteres Leben.

Ich habe dieses Motiv gefunden und musste es einfach fotografieren, dieser scheinbar willkürlich hingeschmierter Schriftzug – da ging es nicht um Ästhetik, sondern um die bloße Aussage. Ich fand es wirklich interessant mir vorzustellen, aus welchen Gründen, unter welchem Einfluss das dort jemand so hinschreibt. Geradezu Dramatisch, geradezu Obsessiv. Und genau darum geht es in meiner Ausstellung, um Obsessionen, Liebe, Hass, Sucht und ein bisschen um Drama.

Ich bin zum Beispiel auch ein Mensch voller Fetisch.

Erotik schwingt voll in meinem Leben mit. Zum Beispiel neulich, entdeckte ich diese Äpfel im Supermarkt, die in Zellophanfolie eingepackt sind. Dieser glatte Stoff auf die runden Äpfel gepresst. Wenn du über diese Rundungen, über diese zerbrechliche Textur – die so gespannt ist, dass sie gleich zu reißen droht – mit den Fingern streifst. Das hat etwas Erotisches.

Also ich sehe überall Stoff für neuen Porn.

Ist der Fotograf Mortagne ein Teil der Szene, und ihr geschuldet?

Ich gebe meine Kamera ja auch in andere Hände! Meine Kamera bezeichne ich eigentlich als Kommunikationsmittel. Ich bin nicht bloß der Fotograf. Das größte Vertrauen baust du auf, indem du den Leuten vermittelst „Ich bin dabei! Ich mach mit!“.

Ich lasse mich von den Leuten, die ich portraitiere genauso abbilden.

Ich verstecke mich nie gerne hinter der Rolle des Fotografierenden. Ich lasse mich lieber darauf ein mich ebenfalls zu entblößen.

Wie fühlst du dich wenn du fotografierst, ist es ein Trieb oder laufenlassen? Wann oder wie entscheidest du abzudrücken?

Wenn ich fotografiere, kann ich eigentlich ziemlich wissenschaftlich werden. Ich konzentriere mich nur auf das was ich im Sucher sehe. Aber es ist auch mal so und so. Eines meiner stärksten Motive, der Adler,  ist zum Beispiel im Vorbeigehen entstanden. Ich habe nicht mal in den Sucher geschaut. Oder wenn eine elegant gekleidete Frau mit roten Absätzen und schwarzem Mantel ihrer weißen Bulldogge den Fußgängerüberweg hinterher rennt – da sehe ich sofort, die Farbpalette stimmt, der Stoff stimmt und ich drücke ab ohne viel oder auch gar nicht in den Sucher zu schauen. Manchmal lauert man aber auch an einer bestimmten Stelle, dann muss man wissen, was passiert, bevor man das Foto auslöst. Es gibt manche Sachen für die man schon ein gewisses Händchen entwickelt.

Man weiß schon was passieren wird ohne, dass es passiert ist.

Aber oft, und das ist Teil des Projektes, inszeniere ich Motive, die ich beiläufig fotografiert habe dann aber auch neu. In einer oder sogar mehreren aufwendigen Sitzungen. Ich inszeniere sie sodass man nicht sieht, dass es neu fotografiert ist. So verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Vorstellung. Um wieder zum Adler zu kommen: Das erste Motiv davon mochte ich sofort, aber ich habe ihn bestimmt noch fünf mal neu fotografiert, sogar mit der Fachkamera! Einfach um ihn zu perfektionieren. Keines der Bilder, welche ich unter größten Bemühungen gemacht habe, wurde so gut wie der erste Schnappschuss.

Erzähl uns ein bisschen über Dich selbst, seid wann bist du hier und wie hast du angefangen zu fotografieren, was treibt dich grundsätzlich an?

Also, stell dir doch mal vor nächstes Jahr werde ich Musiker, was soll ich denn dann den Leuten erzählen warum ich Musik mache. (Lacht) Ich bin ´94 mit meiner Familie nach Berlin gekommen. Fotografie ist vielleicht nicht meine finale Entscheidung, aber es ist schon ein starker Drang und momentan macht es mir sehr Spaß. Du siehst da ist Stoff für eine große Geschichte, da ist Stoff für ein gutes Motiv. Und dann folgst du deinem Instinkt.

Deine erste Soloshow findet im neuen Projektraum der Ritter Butzke ASUC (A space under construction statt) viel Platz sich auszubreiten, und ein perfekter Rahmen.  Wie ist diese Zusammenarbeit entstanden?

Alexander Masche Kurator und einer der zwei Macher von „A space under Construction“, hat mich bei meiner Abschlussausstellung vom Lette- Verein angesprochen. Meine Arbeit hat ihm anscheinend ganz gut gefallen und ich denke er hatte das Gefühl ich sei ein guter Kandidat für eine Einzelausstellung. A space under construction ist auch eine tolle Plattform. Ich freue mich wirklich sehr über die Möglichkeit, die sich mir hier bietet.

Last but not least, tell us about your mum, will she be present?

Yeah! My mum will be present! I told her to come! I keep calling her, „did you book your flight?!“ Sie ist auf jeden Fall eingeladen, ich freue mich sehr auf sie. Weil sie weiß auch gar nicht so genau, was ich da eigentlich mache.

MAMA ICH LIEBE DICH – Opening am 15. September ab 18 Uhr 30

im A Space Under Construction (ASUC) im 1. OG über dem Ritter // Eintritt Frei
Im Anschluss wird im Club zur Aftershowparty geladen, Half Price für Ausstellungsgäste

Ausstellungsdauer bis 19. September, 2016

http://club.ritterbutzke.com/ 

http://eirikur.co/

All works, photo credit: Eirikur Mortagne